Vermeidbarer Großbrand in einer Fabrik für Fischölveredelung
1 | Anliegen des Verfassers
Wie viele Brände oder andere Großschadensereignisse hätte dieses Feuer nicht ausbrechen müssen. Die Darstellung über diesen Brand zeigt in überzeugender Art und Weise, durch welche einfachen Maßnahmen der Brand hätte verhindert werden können.
Die Problematik der Selbstentzündung von organischen (oder auch anorganischen) Stoffen ist, gerade im Privatbereich, oft nicht bekannt, aber hier handelte es sich um einen industriellen Produktionsbereich.
In der polizeilichen Praxis oder auch bei der Brandbekämpfung durch die Feuerwehren spielen Brände, die durch Selbstentzündungsprozesse hervorgerufen werden, eher eine untergeordnete Rolle. Dieser Brand ist eines der wenigen Beispiele in meiner polizeilichen Tätigkeit als Brandermittler. Der Schaden im zweistelligen Millionenbereich war eindeutig vermeidbar.
2 | Produktionsablauf
In dem seit Ende November 2018 bestehenden nagelneuen Betrieb wurde Thunfisch-Rohöl angeliefert. Über verschiedene, vollautomatisch ablaufende und geschlossene Produktionsprozesse wurde das Rohöl gefiltert, mit Zusätzen versehen und so aufbereitet, dass es als Zusatz für Babynahrung verwendet werden kann. Bei diesen Prozessen wird das Öl auf einem bestimmten niedrigen Temperaturniveau (weit unter 100 °C) gehalten und es wird Stickstoff zugesetzt, um die Produkteigenschaften zu erhalten.
Bei dem Produktionsablauf fallen selbstverständlich auch Abfallstoffe und Beiprodukte an, so unter anderem mit Thunfischöl verschmutzte Filtermaterialien. Im Rahmen des Sicherheitsmanagements wurde auch ein Sicherheitsdatenblatt für Thunfischöl erarbeitet.
Eine detaillierte Beschreibung des Produktionsprozesses soll hier nicht erfolgen, zumal der Betrieb offiziell noch nicht eröffnet war. Man befand sich sozusagen noch im Probebetrieb.
3 | Schadenereignis
Der Brand brach vor drei Jahren in den frühen Morgenstunden in einem Industriegebiet im Norden Deutschlands aus. Zum Zeitpunkt, als der Brand bemerkt wurde, war es bereits zu spät, denn im Innern der Produktionshalle tobte längst eine unlöschbare Feuersbrunst. Produktionsabläufe fanden zu der Zeit allerdings nicht statt.
Ein Zeuge bemerkte den Brand von außerhalb des umzäunten Geländes (siehe Bild 1) und informierte sofort die Feuerwehr-Leitstelle, die eine Vielzahl an umliegenden Wehren zum Einsatz brachte. Weit über 120 Feuerwehrleute kämpften vergeblich gegen die Flammen an, sodass nur noch eine ausgebrannte Blechhülle übrig blieb. Erstaunlicherweise blieb das direkt an die Halle angebaute Bürogebäude unbeschadet, wie Bild 2 verdeutlicht. Auf dem Bild ist auch das gesamte Schadensausmaß sehr gut erkennbar.
Der Brand begann eigentlich schon einige Stunden zuvor, und zwar genau um 04:49 Uhr. Jedes Feuer beginnt klein und benötigt eine bestimmte Anlaufzeit, bis es bemerkt oder auf andere Art und Weise der Alarm ausgelöst wird. Das Feuer wurde erst nach ca. drei Stunden und zwanzig Minuten nach außen hin sichtbar. Aber zu dem Zeitpunkt war es, wie bereits erwähnt, zu spät, um noch irgendetwas zu retten.
4 | Brandursachenermittlung
Die Ermittlung zur Brandursache wurde durch den Unterzeichner geleitet und in Teamarbeit durchgeführt. An den Ermittlungen zum Schadenshergang waren in unterschiedlicher Art und Weise mehrere Sachverständige unterschiedlicher Branchen, Vertreter der geschädigten Firma und mehrere Kriminalbeamte beteiligt. Um die Arbeit zu planen und zu koordinieren, gab es mehrere Besprechungstermine in dem unbeschädigten Bürogebäude, ein kleiner organisatorischer Vorteil angesichts des hohen Schadens.
Eine vorsichtige Erstbesichtigung erfolgte zwei Tage nach Schadenseintritt und die eigentliche und auch abschließende Untersuchung der Brandstelle etwa zwei Wochen später.
Es wurde sichergestellt, dass im Brandobjekt keine unzulässigen Veränderungen vorgenommen wurden.
Bei der Ermittlung einer Brandursache suchte man zunächst nach dem Bereich mit den höchsten Zerstörungen und begutachtete dabei auch die allgemein bekannten Brandspuren. In diesem Bereich ist in aller Regel die Brandausbruchsstelle zu suchen und dort die Brandursache zu finden.
Wie Bild 3 erahnen lässt, konnte diese Regel in diesem Fall nicht angewandt werden. Wir fanden nicht nur eine ausgeglühte Blechhülle vor, sondern die tragenden Stahlkonstruktionen waren völlig verzogen, Innenwände (Polyurethan-Sandwichplatten) waren größtenteils nicht mehr vorhanden und die weitere Inneneinrichtung war weitestgehend zerstört und in der Funktion kaum noch erkennbar.
Bei der weiteren Suche nach dem Brandausgangspunkt kamen uns folgende Faktoren zu Hilfe:
a | Glaubhafte Beobachtungen, Fotos und ein kurzes Video des Erstzeugen
b | Auslesung der Brandsensoren
Weiterhin war aus kriminaltechnischer Sicht festzustellen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Eindringen unberechtigter Personen vorlag und auch keine schlüsselberechtigten Angestellten kurz vor Brandentstehung im Objekt gewesen sind.
Die Darstellung des Brandes, wie auf Bild 1 erkennbar, brachte uns der Suche nach dem Brandauslöser schon ein ganzes Stück näher. Die aufwendige Auslesung (durch Fachfirma) und Auswertung (durch den von der Polizei eingesetzten Sachverständigen) der in großer Anzahl vorhandenen Brandsensoren bestätigte die Entstehung des Brandes im Inneren in der Nähe des Tores 3. Zu beachten galt ja, dass Zeugenbeobachtungen immer eine subjektive Färbung haben und dass das Zeugenfoto nur aus einer Richtung gefertigt werden konnte. Der nächste Ermittlungsschritt brachte den Durchbruch. Es war die Frage zu klären, was sich genau hinter Tor 3 in der Halle befand. So wurde in Erfahrung gebracht, dass sich hier ein Abfalllager und so unter anderem eine 240-l-Kunststoff-Mülltonne befand (siehe Bilder 4 und 5). Diese war gut gefüllt mit fischölversetzten, handelsüblichen Papiertüchern und textilen Filtermaterialien. Die weitere Untersuchung der in diesem Bereich vorhandenen elektrischen Anlage und Geräte erbrachte keinerlei Anhaltspunkte für eine Brandentstehung.
4.1 | Brandursache Selbstentzündung von Tierölen
Die sehr wahrscheinliche Annahme, dass der Brand durch einen Selbsterwärmungsprozess im Zusammenhang mit Verarbeitung von Thunfischöl entstanden ist, ergab sich aus dem oben genannten Hinweis zur Lagerung und dadurch, dass weitere, objektiv mögliche Brandursachen weitestgehend ausgeschlossen werden konnten (Eliminierungsverfahren).
Dr. Peter Schildhauer [1] definiert den Prozess einer Selbstentzündung wie folgt:
„Eine Selbstentzündung ist eine auf eine Selbsterwärmung folgende Zündung ohne Energiezufuhr von außen, bei der die Zündenergie ausschließlich durch die bei niedrigen Umgebungstemperaturen in dem betrachteten Stoffsystem ablaufenden exothermen, chemischen, biologischen oder physikalischen Prozessen erzeugt wird.“
Allgemeine Betrachtung
Fette und fette Öle sind Ester aus höheren Fettsäuren und Glyzerin (Propantriol) und sie sind in reinem Zustand farb , geruch- und geschmacklos. Unter der Einwirkung von Luftsauerstoff, Licht, Feuchtigkeit, Metallen und Mikroorganismen unterliegen diese Stoffe einem Zersetzungsprozess; sie werden ranzig. Bei der Veresterung mit gesättigten Fettsäuren bilden sich Glyzeride mit einem niedrigen Schmelzpunkt. Fette und fette Öle sind Glyzeride mit ein und drei Molekülen Fettsäuren. Die natürlichen Fette und fetten Öle bestehen aus gemischten Triglyzeriden und sie enthalten nur Fettsäuren mit einer geraden Anzahl von Kohlenstoffatomen.
Zunächst muss vorangestellt werden, dass Öle und Fette ohne weitere Zusatzbedingungen nicht selbstentzündlich sind. Der Mechanismus der Selbsterwärmung von Ölen und Fetten ist chemischer Natur, während der erforderliche Wärmestau einen physikalischen Faktor darstellt, der aber eine wesentliche Rolle spielt. Dies wird im Folgenden näher beschrieben.
Eine Wärmeproduktion, egal nach welchem Mechanismus, führt nie zu einem Brand, wenn sich nicht eine ausreichende Wärmemenge anstauen kann. Pflanzliche Öle neigen intensiver zur Selbstentzündung als tierische Öle.
Eine Selbstentzündung kann unter den Bedingungen
• einer relativ großen Oberfläche des Trägermaterials,
• eines bestimmten Gehaltes an Öl
• und Wärmestaus
eintreten.
Eine reine Öllache kann sich nicht selbst entzünden, aber ein mit Öl getränkter Putzlappen. Das Ausmaß der Oberfläche, also die mehr oder weniger feine Verteilung des Öls auf dem Trägermaterial, hat für den Prozess der Selbstentzündung eine entscheidende Bedeutung. Je größer diese Oberfläche ist, auf der das Öl oxidieren kann, desto größer ist die Wärmemenge, die entwickelt wird, sowie die Geschwindigkeit des Temperaturanstieges.
Die Selbstentzündung eines ölgetränkten Stoffes ist nur bei einem definierten Ölgehalt und nach einer gewissen Anlaufzeit möglich … Mit steigendem Ölgehalt erhöht sich auch die Geschwindigkeit der Wärmebildung, bis mehr Wärme produziert wird als abgeführt werden kann. Die Oxidation des Öles wird kontinuierlich intensiviert und bis zur Selbstentzündung beschleunigt.
Die Ursache für die Oxidierbarkeit der Öle und Fette ist ihr Gehalt an ungesättigten Verbindungen, das heißt, es sind freie Valenzen oder Mehrfachbindungen vorhanden, aus denen eine besondere Reaktionsfreudigkeit resultiert.
Die ungesättigten Fettsäuren oxidieren bei Anwesenheit des Luftsauerstoffs schon bei normalen Raumtemperaturen von etwa 10 bis 15 °C. Dabei werden auch Peroxide gebildet, die aber schnell wieder zerfallen. Bei der Reaktion der Öle mit dem Luftsauerstoff wird Wärme produziert und freigesetzt.
Die Geschwindigkeit der Selbstentzündung ist von unterschiedlichen Bedingungen wie der Neigung der Öle zu diesem Prozess, von den Eigenschaften und dem Ölgehalt des Trägerstoffes, von der Umgebungstemperatur, von den Voraussetzungen des Wärmestaus und von der Luftzusammensetzung abhängig. Es wird eine bestimmte Anlaufzeit gefordert, die von ca. 30 Minuten bis zu wenigen Tagen reicht.
Die Selbstentzündungsneigung der Fette und Öle wird mit der Jodzahl (Jodmenge in Gramm, die von 100 g Öl gebunden werden können) ausgedrückt. Je größer der Gehalt an ungesättigten Verbindungen, desto mehr Jod wird durch das jeweilige Öl gebunden, da die vorhandenen Mehrfach- in Einfachbindungen umgewandelt werden und sich hier ein Jodatom anlagert.
Die Anzahl des aufgenommenen Jods ist also Ausdruck für die Anzahl der vorhandenen Mehrfachbindungen, die ja eine bestimmte Reaktionsfreudigkeit ausdrücken, und somit auch der Neigung zur Selbstentzündung. Eine hohe Jodzahl bedeutet demnach eine große Selbstentzündungsneigung. Eine orientierende Berechnung der Temperatur für die Selbsterwärmung ist aus der Zündtemperatur mit der Formel möglich.
Weiteres lässt sich dazu in der Zeitschrift „Unser Brandschutz“, Heft 5/1992 oder bei Schildhauer [1] nachlesen.“ Quelle: aus [2]
Das hier infrage stehende Thunfischöl beinhaltet reichlich ungesättigte Fettsäuren (17,74 g/100 g einfach ungesättigte und 43,14 g/100 g mehrfach ungesättigte Fettsäuren, so u. a. auch Omega-Fettsäuren). Die ungesättigten Fettsäuren sind durch ihre Doppel- oder Dreifachbindungen besonders reaktiv, so auch mit dem vorhandenen Luftsauerstoff.
Die Jodzahl ist ein Maß für den Gehalt eines Fettes an ungesättigten Verbindungen. Vereinfacht ausgedrückt: Je höher die Jodzahl eines Stoffes ist, desto höher ist die Neigung zur Selbstentzündung. Das Thunfischöl ist mit einer Jodzahl von 190 stark reaktiv (Leinöl im Vergleich ca. 155). Bei der Reaktion (Autooxidation) des Öles mit dem Luftsauerstoff entsteht Wärme.
Je größer die Oberfläche ist, auf der das Öl verteilt ist, zum Beispiel durch Aufsaugen mit textilen Stoffen, desto mehr Wärme kann entstehen. Neben weiteren Faktoren ist entscheidend, ob die erzeugte Wärme abgeführt werden kann oder ob diese sich anstaut. In diesem Fall befanden sich in der fast gefüllten 240-l-Abfalltonne Papiertücher und textile Filtermaterialien, mit denen zuvor Reste von Fischöl aufgenommen wurden (siehe Bild 6). Der Deckel der Abfalltonne war geschlossen, sodass die Wärme kaum nach außen dringen konnte. Die ungehinderte Wärmeentwicklung kann hier auf zwei bis vier Tage eingegrenzt werden.
Schlussfolgerung
Wie bereits eingangs erwähnt, war dieser Brand vermeidbar. Verschiedene Faktoren trugen aber dazu bei, dass es zu diesem hohen Schaden kommen konnte.
a | Die zahlreichen Brand- und Rauchsensoren waren noch nicht bei der Feuerwehr aufgeschaltet, da es hier noch diverse, aber lösbare Probleme zu beseitigen galt. Im anderen Falle wäre die erste zuständige Feuerwehr in kurzer Zeit (entsprechend der Ausrückeordnung) an der Brandstelle gewesen und hätte den Anfangsbrand beherrschen und löschen können.
b | Die Selbstentzündungsgefahr der mit Thunfischöl versetzten Tücher wurde nicht klar erkannt. Die Lagerung des Abfallmaterials hätte in nicht brennbaren, verschließbaren Behältern erfolgen müssen.
c | Die hohe Brandlast in direkter Nähe der 240-l-Abfalltonne (zweimal 500 l Alt-Fischöl in IBC-Behältern) begünstigte die starke Brandausbreitung. Hätte die Abfalltonne mit genügendem Abstand zu weiterer Brandlast gestanden, wäre sie sehr wahrscheinlich separat abgebrannt. Es hätte keine weitere Brandausbreitung gegeben, denn der vertikale Abstand zur Hallendecke war ausreichend.
d | Bei Lagerung der Abfalltonnen außerhalb des Gebäudes wäre nur ein Kleinbrand entstanden.
Ob im privaten oder industriellen Bereich, man sollte sich immer damit beschäftigen, ob gefährliche oder selbstentzündliche Stoffe vorhanden sind, wie man mit diesen umgeht und ob ein Gefährdungspotenzial bestehen könnte.