Brand von Zelluloidfilmen in einem Filmarchiv
In einem Kellerraum eines Wohn- und Geschäftshauses ist es zu einem Brand gekommen. Nur wenige wussten, dass sich hinter der unscheinbaren Tür ein großes Filmarchiv befand. Bei Zelluloidfilmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht nur die Handlung, sondern auch das Material selbst unter Umständen hochexplosiv. Die Brandursache war auf einen Selbstentzündungsprozess von Zelluloidfilm zurückzuführen.
Als im Jahr 1887 Filmmaterial aus Zelluloid erfunden wurde, bildete dies den Grundstein des fotografischen Films und damit des Kinos, wie wir es kennen. Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestanden nahezu alle Filme aus Zelluloid, obwohl von dem Material eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausging.
Erst danach stand sogenannter Sicherheitsfilm aus Celluloseacetat und später aus Polyester zur Verfügung, der aber nur langsam zu einer breiten Anwendung kam. Zur Unterscheidung wurde Sicherheitsfilm im Bereich der Perforationslöcher mit der Aufschrift „Sicherheitsfilm“, „safety“ oder „nonflam“ als solcher gekennzeichnet (Bild 1) [2].
Da es bereits zu Beginn der Kino-Ära in Kinos rund um die Welt zu verheerenden Brandkatastrophen mit zahlreichen Toten kam, wusste man um die Gefährlichkeit dieses Trägermaterials und begegnete der Brandgefahr mit umfangreichen Sicherheitsvorschriften, die aber im Wesentlichen auf die Vorführung abzielten.
Doch auch die Lagerung war nicht ohne Risiko, wie sich bei Bränden in den Lagern großer Filmstudios zeigte (siehe rechts). Nachdem in der Bundesrepublik Deutschland ab dem Jahr 1957 die Verwendung von Filmmaterial aus Zelluloid vollständig verboten wurde, geriet dieses Wissen in der Bevölkerung zunehmend in Vergessenheit. [7]
Der damalige Einsatz von Zelluloid ist allerdings auch heute noch ein großes Problem. Filmarchive aus dieser Zeit sind durch die Neigung des Filmmaterials zu Selbstentzündung und Explosion extrem gefährdet. Das Unheil lauert aber möglicherweise nicht nur in professionellen Archiven, sondern auch in Kellern und auf Dachböden ahnungsloser Menschen.
ZELLULOIDFILM
… besteht aus einer fotografischen Schicht und einem Trägermaterial aus Zelluloid.
Der Hauptbestandteil von Zelluloid ist dabei Cellulosenitrat – ein explosiver Feststoff, der durch Schlag, Reibung, Erwärmung oder andere Zündquellen auch bei Abwesenheit von Luftsauerstoff annähernd explosionsartig verbrennt. Zelluloidfilme unterliegen grundsätzlich den Bestimmungen des Sprengstoffgesetzes und gelten als Explosivstoffe. [1]
BRÄNDE IN GROSSEN FILMLAGERN
1937 – 20th Century Fox in New Jersey, USA [3]
1965 – MGM Studios in Kalifornien, USA [4]
1978 – United States National Archives and Records Administration in Maryland, USA [5]
1988 – Bundesarchiv in Koblenz, Deutschland [6]
Schadenhergang
In dem vorliegenden Schadenfall handelte es sich um ein privates Filmarchiv, in dem der Archivar über 100.000 Filmrollen gesammelt hatte. Etwa 10.000 dieser Filmrollen waren in dem vom Schaden betroffenen Kellerraum eines unscheinbaren Wohn- und Geschäftshauses eingelagert. Das Material stammte aus Archiven von Filmverleihen, aber auch aus Privatsammlungen und Nachlässen, die zum Teil auch ungesichtet übernommen wurden. Die ältesten Filme im Bestand stammen aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Nach Auffassung des Archivars sollen darunter allerdings keine Filme aus Zelluloid gewesen sein. Alle Zelluloidfilme habe er im Jahr 2012 an das Bundesarchiv abgegeben.
Das Bundesarchiv betrieb zunächst in der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz ein Filmarchiv. Dort waren unter anderem 24.000 Zelluloidfilme gelagert. Im Jahr 1988 kam es auch dort infolge einer Selbstentzündung von Zelluloid zu einem verheerenden Brand, bei dem rund 2.000 Filme zerstört wurden. [6]
Seit dem Jahr 2005 steht in Hoppegarten bei Berlin ein speziell klimatisierter Bunker zur Lagerung von Zelluloidfilm zur Verfügung, in dem derzeit ca. 70.000 Filmrollen eingelagert sind. [8]
Der Archivar des privaten Filmarchivs sei zuletzt am Schadentag gegen 7 Uhr in dem Kellerraum anwesend gewesen, um sowohl Filmrollen dort einzulagern als auch um welche zu entnehmen. Auffälligkeiten habe er dabei nicht festgestellt. Auch habe er nicht geraucht oder sonstige Arbeiten ausgeführt. Nach dem Verlassen habe er die Tür wieder sorgfältig verschlossen.
Gegen 11 Uhr sei dann durch Passanten eine starke Rauchentwicklung aus den Kellerlichtschächten des Gebäudes heraus bemerkt worden. Die daraufhin alarmierte Feuerwehr musste sich gewaltsam Zugang zu dem verschlossenen Kellerraum verschaffen, um den Brand darin ablöschen zu können. Im Zuge des Löscheinsatzes wurde von der Feuerwehr im Brandraum selbst sowie im Brandrauch oberhalb der Kellerlichtschächte Blausäure festgestellt. Blausäure ist ein Verbrennungsprodukt von stickstoffhaltigen Polymeren, wie z. B. Nitrocellulose.
Brandstellenuntersuchung
Bereits von außen zeigten sich an dem Gebäude oberhalb der Kellerlichtschächte ungewöhnlich bräunliche Rußfahnen (Bild 2). Gleichzeitig war dort auch schon der beißend säuerliche Geruch wahrzunehmen, der typisch für verbrannte bzw. zersetzte Zelluloidfilme ist. Im Treppenraum sowie in den Nutzungseinheiten der vier oberirdischen Geschosse lagen ausschließlich sekundäre Brandschäden durch abgelagerten Ruß und Rauchgaskondensate vor. Der eigentliche Brand begrenzte sich auf den Kellerraum des Filmarchivs.
Der etwa 120 m2 große Kellerraum war mit Metallregalen ausgestattet, in denen wiederum die Filmrollen aufbewahrt wurden (Bild 3). Obwohl vorhandene Regale nur in einem Abstand von nur 60 cm zueinander aufgestellt waren, reichte die Anzahl nicht aus, um die große Menge an Filmrollen aufzunehmen. So waren auch die Gänge zum Teil mit Kartons voller Filmrollen zugestellt.
In dem gesamten Kellerraum lagen ausgeprägte Ablagerungen von Ruß und Rauchgaskondensaten vor. Zusätzlich zeigten sich insbesondere im oberen Bereich Spuren einer thermischen Einwirkung – so waren die Filmdosen aus Kunststoff oberflächlich angeschmolzen und die Aktkartons brandgezehrt (Bild 4). Ausgeprägte Brandzehrungen lagen allerdings überwiegend nur in lokal stark begrenzten Teilbereichen vor (Bild 5 und 6).
Die dort vorhandenen Filmdosen aus Weißblech waren aufgeplatzt und ausgeglüht bzw. mit deutlichen Anlauffarben versehen (Bild 7). Das darin enthaltene Filmmaterial war vollständig verascht und teilweise aus den Dosen herausgequollen (Bild 8 und 9).
Auffallend war, das unmittelbar daran angrenzende Filmdosen und Aktkartons ein davon gänzlich abweichendes Brandspurenbild zeigten. So waren die umliegenden Dosen und Kartons nur sekundär brandbeaufschlagt und das darin enthaltene Filmmaterial nahezu unbeschädigt (Bild 10). Rund 50 ausgebrannte Filmrollen in insgesamt neun voneinander unabhängigen Brandherden konnten über den Kellerraum verteilt identifiziert werden.
Dass die Filmdosen aus Blech erst im Zuge des Brandes aufgeplatzt sind und nicht unvollständig verschlossen eingelagert wurden, konnte anhand des imposanten Brandspurenbildes an einem Regal belegt werden. Der metallene Regalboden, auf dem die aufgeplatzten Filmdosen vorgefunden wurden, hatte sich infolge der erheblichen Druckeinwirkung mechanisch verformt (Bild 11).
Außer fünf Langfeldleuchten waren keine weiteren technischen Installationen vorhanden, die als Zündquelle in Frage kämen und auch die Beleuchtungsinstallation war noch so weit intakt, dass ein brandverursachender elektrotechnischer Defekt sicher ausgeschlossen werden konnte. Letztendlich kam somit nur noch eine Selbstentzündung von Zelluloidfilmen als Brandursache in Betracht.
Neben der Tatsache, dass bereits Blausäure während des Brandes gemessen wurde, sollte ein weiterer Nachweis von Zelluloid erbracht werden. Dazu wurde eine Probe eines mit der Aufschrift „Nitro“ gekennzeichneten Films aus dem Jahr 1917 einer weitergehenden Laboruntersuchung zugeführt.
Laboruntersuchung
Die Materialprobe des im Brandraum vorgefundenen Filmmaterials wurde entsprechend den Anhängen B und D der DIN ISO 18906:2004-09 [9] geprüft, die Prüfverfahren enthalten, mit denen Sicherheitsfilm von Filmen auf Zelluloidbasis unterschieden werden kann.
Brennprobe gemäß Anhang B
Ein 16 mm breites und 35 mm langes Stück des Filmmaterials wird auf eine feuerfeste Oberfläche gestellt und an einer der oberen Ecken entzündet. Für Sicherheitsfilm müsste die Probe gemäß der Norm schwer entflammbar sein und nur teilweise bzw. nicht unter 15 Sekunden verbrennen. Die Probe ist leicht entzündlich und brennt schnell und heftig mit einer hellen, gelben Flamme innerhalb von 5 Sekunden ab (Bild 12 A – C). Das Kriterium der Norm wurde im Versuch also nicht erfüllt, sodass das Filmmaterial gefährliche Mengen an Nitrocellulose enthält.
Schwimmprobe gemäß Anhang D
Ein 6 mm großes Stück des Films wird in einen Messzylinder gegeben, der mit Trichlorethylen gefüllt ist. Die Probe sinkt in der Flüssigkeit bis auf den Boden des Messzylinders ab (Bild 13). Gemäß der Norm handelt es sich bei dem Filmmaterial um Nitrocellulose. Eine Probe von Sicherheitsfilm aus Celluloseacetat oder Polyester würde aufgrund der Dichte in der Flüssigkeit nicht absinken, sondern schwimmen.
Die Laboruntersuchungen ergaben, dass es sich bei der zu Vergleichszwecken aus dem Brandraum asservierten Probe um Filmmaterial auf Nitrocellulosebasis und nicht um Sicherheitsfilm aus Celluloseacetat oder Polyester handelt.
Bewertung
Das allgemeine Brandspurenbild mit mehreren unabhängigen Brandherden sowie die Abwesenheit technischer Zündquellen und von Hinweisen auf eine vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung lassen den Schluss zu, dass es durch eine Selbstentzündung zu dem Brand gekommen ist. Anhand des auffallend abweichenden Brandspurenbildes an den verschiedenen Filmrollen sowie des Nachweises von Zelluloidfilm im Labor konnte ein Selbstentzündungsprozess von Filmmaterial aus Zelluloid als Brandursache nachgewiesen werden.
Zersetzungsprozesse
Wie bereits anfangs schon erwähnt wurde, ist Zelluloidfilm bereits im unbeschädigten Zustand höchst feuergefährlich und entzündet sich bereits bei einer Temperatur von 130 °C. Daneben besitzt Cellulosenitrat – das Trägermedium des Films – die unangenehme Eigenschaft, sich im Laufe der Zeit selbst zu zersetzen, wobei die Entzündbarkeit und die Selbstentzündungsneigung ansteigen. [10] Der Zersetzungsprozess von Zelluloidfilm lässt sich in fünf Stadien unterteilen: [11]
1. Der Film weist eine gelbliche Verfärbung auf und das Bild bleicht aus. Ein leicht saurer Geruch ist feststellbar. Filmbehälter aus Blech zeigen Korrosionsspuren an der Kontaktstelle zum Filmmaterial.
2. Das Trägermaterial wird klebrig, die Filmstreifen kleben beim Abrollen zusammen. Ein leicht saurer Geruch ist feststellbar.
3. Teile des Films werden weich und beinhalten Gasblasen. Ein saurer Geruch wird verbreitet.
4. Die Filmrolle backt zu einer weichen Masse zusammen. Die Oberfläche kann einen zähflüssigen Schaum aufweisen. Ein stark saurer Geruch wird verbreitet.
5. Der Film degeneriert in ein stoßempfindliches braunes Pulver.
Die Zersetzungsreaktion ist in doppelter Hinsicht ein selbstbeschleunigender Prozess. Bei der Zersetzung entstehen sowohl Stickoxide als auch Wärme. Beides sind Faktoren, die die weitere Zersetzung begünstigen. Es müssen also geeignete Lagerbedingungen geschaffen werden, um diesen Prozess zu verlangsamen. Zelluloidfilme sollten keinesfalls bei Temperaturen über 21 °C, einer relativen Luftfeuchte über 50 % sowie schlecht belüftet gelagert werden. [11] Im Bundesarchiv wird unter ständiger Belüftung ein Lagerungsklima von 6 °C und 50 % relativer Luftfeuchte gewährleistet. [12] Nitrofilme dürfen zudem niemals in einem luftdichten Behälter verschlossen werden. Die während der Lagerung entstehenden Gase und die Wärme müssen entweichen können.
Die bei der Zersetzungsreaktion freigesetzte Wärme kann nicht nur die Zersetzung beschleunigen, sondern auch unmittelbar als Zündquelle fungieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich der Film im letzten Stadium der Zersetzung schon bei einer Temperatur von 38 °C selbst entzündet. [11]
Im vorliegenden Schadenfall war das Lager zwar in einem vermeintlich kühlen Kellerraum untergebracht, dieser verfügte aber weder über eine Klimatisierung noch über eine Lüftung. Die vier vorhandenen, in Lichtschächte führenden kleinen Kellerfenster waren zum Schadenzeitpunkt nachweislich geschlossen. Der Schaden ist mitten im Hochsommer während einer über acht Wochen andauernden Hitzeperiode mit Höchstwerten von bis zu 37 °C eingetreten. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in dem Lagerraum höhere Temperaturen als sonst üblich und wahrscheinlich auch über den empfohlenen 21 °C vorgelegen haben. Infolge der enormen Belegung des äußerst vollen Lagers konnte die bei der Zersetzung entstehende Wärme nicht aus den Filmdosen abgeführt werden. Dies hat vermutlich ebenso wie die schlechte Belüftung im Vorfeld des Schadens zu dessen Entstehung beigetragen.
Um hier den Bogen von gewerblichen bzw. öffentlichen Filmarchiven wieder hin zu Privatpersonen zu spannen, ist der Aspekt der Lagerbedingungen ideal. Denn wo werden alte analoge Filmschätze gerne gelagert? Auf Dachböden, in Garagen oder in Kellern – und genau dort sind die klimatischen Bedingungen eben keinesfalls ideal. Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung und warme Sommer bilden die idealen Voraussetzungen dafür, um aus Filmklassikern explosive Actionfilme werden zu lassen.
FAZIT
Auch Jahrzehnte nach dem Verbot von Zelluloidfilm geht davon immer noch ein gewisses Gefährdungspotenzial aus. Durch die alterungsbedingte Zersetzung steigt zudem das Risiko einer Selbstentzündung. Nicht nur in professionellen Archiven, sondern auch in Kellern und auf Dachböden ahnungsloser Menschen schlummert noch eine unbekannte Anzahl an Zeitbomben. Ein Selbstentzündungsprozess von Zelluloidfilmen sollte daher als potenzielle Brandursache weiter im Hinterkopf behalten werden.
Dr.-Ing. Lennart Meyer
Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer e. V.,
Münster
LITERATUR
[ 1 ] Der Umgang mit Filmen auf Nitrozellulosebasis im internationalen Vergleich – Wissenschaftliche Dienste, Sachstand WD 10 – 3000 – 020/16, Deutscher Bundestag 2016
[2] Verordnung über Sicherheitskinefilme (Sicherheitsfilmverordnung) vom 13. Dezember 1958 (BGBl. I S. 914)
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Filmlager-Brand_in_den_20th_Century_Fox_Studios (Abruf 08/2024)
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/1965_MGM_vault_fire (Abruf 08/2024)
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/1978_Suitland_National_Archives_Film_Vault_Fire (Abruf 08/2024)
[6] Rolf W. Abresch, „Dienstag, 26.1.1988: Ein schwarzer Tag für das Bundesarchiv“, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 1/2008
[7] Gesetz über Sicherheitskinefilme (Sicherheitsfilmgesetz) vom 11. Juni 1957 (BGBl. I S. 604)
[8] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Dienstorte/hoppegarten.html (Abruf 08/2024)
[9] DIN ISO 18906:2004-09 Bild-Aufzeichnungsmaterialien – Fotografische Filme – Festlegungen für den Sicherheitsfilm
[10] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/nitrozellulosefilm.html (Abruf 08/2024)
[11] https://www.kodak.com/en/motion/page/storage-and-handling-of-processed-nitrate-film/ (Abruf 08/2024)
[12] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/nitrofilmlagerung-im-bundesarchiv.html (Abruf 08/2024)