Schadenszenarien und Maßnahmen der Schadenverhütung
In regelmäßigen Abständen kommt es vor allem im Bereich von Hochhäusern zu Großschäden, bei denen die Schadenursache und auch das Schadenausmaß auf die in den Schadenobjekten vorhandenen Müllabwurfschächte zurückzuführen waren. Neben dem Sachschaden, hauptsächlich durch eine massive Rauchausbreitung über mehrere Geschosse, ist vor allem die Gefährdung der Bewohner als kritisch zu bewerten. Innerhalb kürzester Zeit sind im schlimmsten Fall auch Flucht- und Rettungswege betroffen und können nicht oder nur unter großer Gefahr genutzt werden. Stellt sich also die Frage: Was ist zu tun? Auf diese einfache Frage gibt es allerdings keine einfache Antwort.
Historische Entwicklung
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden erste Müllabwurfschächte in großen Wohnobjekten verbaut, damals noch als Hygienefortschritt gefeiert. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte diese technische Gebäudeausstattung ein Hoch, sowohl in West- als auch in Ostdeutschland. So waren die Müllabwurfschächte beispielsweise fester Konstruktionsbestandteil des Plattenbautyps 2 in der DDR.
Die Funktion ist dabei denkbar simpel. Ein über alle Geschosse verlaufender Schacht mit Einschüttöffnungen (Grafik 1, Nr. 2) in jeder Wohnung oder dem Treppenflur führt zu einem zentralen Stauraum oder Abfallbehälter (Grafik 1, Nr. 3). Diese befinden sich meistens im Keller des Gebäudes. Manche Anlagen zerkleinern oder pressen den Müll, um dessen Volumen zu reduzieren. Hinzu kommt eine über Dach geführte Entlüftungsöffnung (Grafik 1, Nr. 1).
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kehrte sich der Trend jedoch schnell um. Ausschlaggebend dafür waren und sind unterschiedlichste Gründe. Eine Mülltrennung ist bei nur einem vorhandenen Schacht nicht möglich. Dadurch ergeben sich einerseits negative Folgen für Umwelt und Klimaschutz, andererseits steigen dadurch auch die Entsorgungskosten (Bild 1a+b).
Es kommt immer wieder zu Verstopfungen in den Schächten, dies führt zu hygienischen Problemen, vor allem durch Geruchsbelästigung. Des Weiteren ist auch eine Geräuschbelästigung nicht von der Hand zu weisen. Die einleitend erwähnte Brandschutzproblematik kommt dabei noch ergänzend hinzu. Diese negativen Aspekte haben zur Folge, dass nicht nur bei Neubauprojekten Müllabwurfschächte im Prinzip keine Rolle mehr spielen, auch bei vielen Bestandsgebäuden werden Schächte im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen außer Betrieb genommen. Dies zeigen Zahlen aus Berlin [1] recht deutlich. Waren es 2008 noch 4.400 Müllabwurfanlagen, sind es in der Hauptstadt im Januar 2019 nur noch 2.200.
Es scheint also doch eine einfache Lösung zu geben, nämlich die Stilllegung aller Müllabwurfschächte. Doch so einfach ist es nicht immer. Man liest in diversen Veröffentlichungen von teilweise massiven Einwänden durch Bewohner, die auf diesen vermeidlichen Wohnkomfort nicht verzichten möchten. Gerade ältere Personen schätzen diese Form der einfachen und schnellen Entsorgung. Zudem muss auch bedacht werden, was passieren kann, wenn eine Stilllegung gegen den Willen der Bewohner durchgesetzt wird.
So landet dann der Müll z. B. in mindestens ebenso kritisch zu bewertenden Bereichen wie in notwendigen Fluren, Treppenhäusern oder Kellerschächten.
Rechtliche Einordnung
Neben den praktischen Fragen des Alltags gilt es natürlich auch, einen Blick auf die aktuellen baurechtlichen Vorgaben zu werfen. Vorab lässt sich sagen, dass es teilweise deutliche Unterschiede in den Regelwerken der einzelnen Bundesländer in Bezug auf und die Eindeutigkeit der Vorgaben gibt.
In der Musterbauordnung sind keine Regelungen zu Müllabwurfschächten zu finden. Der § 45 beschreibt lediglich die Aufbewahrung fester Abfallstoffe. Einige wenige Bundesländer haben konkretere Regelungen formuliert. So verbietet das Saarland Müllabwurfschächte in Gebäuden. Nordrhein-Westfalen und Berlin verbieten ebenfalls Müllabwurfschächte, eröffnen jedoch die Möglichkeit, bestehende Schächte weiter zu nutzen, wenn abfallrechtliche Trennpflichten und brandschutzrechtliche Belange gewährleistet sind. Das Bundesland Schleswig-Holstein verbietet den Einbau von Müllabwurfschächten ausschließlich nur in Wohngebäuden. Bei der Errichtung sonstiger Gebäude ist die Anlage von Müllabwurfschächten nur zulässig, wenn eine getrennte Erfassung der festen Abfall- und Wertstoffe sichergestellt ist.
Im Bereich des Sonderbaus sind vor allem die Regelungen in der Muster- Hochhaus-Richtlinie (MHHR) interessant. Dort heißt es sehr deutlich unter 7.2.4: „Abfallschächte sind unzulässig“. Aber nicht alle Bundesländer, die die Hochhaus-Richtlinie in eine landesspezifische Sonderbauverordnung umgesetzt haben, folgen dieser klaren Linie. Das Land NRW hat zum Beispiel diesen Passus nicht übernommen, dafür greift dort jedoch die konkrete Regelung aus der Landesbauordnung. In Bayern findet sich weder in der Landesbauordnung noch in der bauaufsichtlichen Behandlung von Hochhäusern (HHR) in der Fassung vom März 2015 eine konkrete, auf Müllabwurfschächte zugeschnittene Regelung.
Damit gilt es im Einzelfall stets, den landesspezifischen Hintergrund genau zu prüfen, um ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit herzustellen.
Schadenszenarien und gefahrerhöhende Faktoren
Um wirksame Schutzmaßnahmen entwickeln zu können, ist es jedoch zunächst einmal von essenzieller Bedeutung, sich mögliche Schadensszenarien vor Augen zu führen. Wie bereits angedeutet, sind keine pauschalen, einfachen und universell wirksamen Optionen vorhanden.
Welche Brandereignisse sind im Zusammenhang mit Müllabwurfschächten denkbar? Drei wesentliche Szenarien kristallisieren sich dabei heraus:
Szenario 1
Brand im Müllsammelbehälter
Es entsteht ein Brand im Müllsammelbehälter im untersten Geschoss. Dafür sind unterschiedliche Brandursachen denkbar, von mutwilliger Brandstiftung über fahrlässige Brandstiftung durch zum Beispiel Einwerfen heißer Asche bis hin zu technischen Defekten an elektrischen Installationen, die zu einem Brand im Müllraum führen. Durch diesen Brand dringen Rauch und hohe Temperaturen in den Müllabwurfschacht ein (vergleichbar mit einem Kamin) und verteilen sich durch die Einschüttöffnungen in den darüberliegenden Geschossen und durch die Entlüftungsöffnung möglicherweise bis über das Dach. Bei denkbaren Verunreinigungen und Verstopfungen im Schacht könnten sich diese zudem ebenfalls entzünden. Je nach Abdichtung der einzelnen Müllabwurfklappen ist ein Austritt von Rauch und Wärme in die einzelnen Etagen denkbar (Grafik 2).
Szenario 2
Brand innerhalb des Abwurfschachtes
Es entsteht ein Brand im Müllabwurfschacht aufgrund von Verunreinigungen oder Verstopfungen. Ein fehlerhafter Gebrauch, zum Beispiel durch den Einwurf von heißer Asche oder Ähnlichem, führt zur Entzündung der den Schacht verstopfenden Müllreste. Dadurch dringen Rauch und hohe Temperaturen wie in einem Kamin in die darüberliegenden Geschosse und mitunter auch auf das Dach. Zudem kann brennendes Material abtropfen und in den Sammelbehälter im untersten Geschoss fallen und dort zu einer Brandausbreitung führen. Je nach Abdichtung der einzelnen Müllabwurfklappen auf den Etagen ist auch bei diesem Szenario ein Austritt von Rauch und Feuer in die einzelnen Etagen denkbar (Grafik 3).
Szenario 3
Brand außerhalb des Abwurfschachtes
Es entsteht ein Brand in einer Wohneinheit oder in einem Flur – der klassische Wohnungsbrand. Durch undichte Müllabwurföffnungen tritt vor allem Rauch, aber eventuell auch Wärme in den Müllabwurfschacht ein. Der Schacht wirkt ähnlich wie ein Kamin und verteilt, je nach Brandintensität, Rauch und Wärme in die darüberliegenden Etagen (Grafik 4).
Gefahrenerhöhende Faktoren
Zusätzlich zum Grundrisiko müssen noch gefahrenerhöhende Faktoren bei der Risikobewertung betrachtet werden. So haben zwei Großschäden innerhalb kürzester Zeit in Verbindung mit Müllabwurfschächten gezeigt, dass Baumängel die Schadenausbreitung massiv begünstigen. Zu nennen sind hier zum einen unzulässige Öffnungen im eigentlich feuerbeständig ausgeführten Schacht. Im konkreten Fall wurden dort Wandhydranten eingebaut, wodurch verdeckt Öffnungen geschaffen wurden, die eine Rauchausbreitung aus den Wandhydranten zur Folge hatte. Zum anderen wurden brennbare Dämmmaterialien um das Fallrohr des Abwurfschachtes montiert, vermutlich um Schallemissionen zu mindern. Beim Brand von Müllresten, die das Fallrohr verstopfen, hat sich diese brennbare Dämmung entzündet, dadurch entwickelte sich der Brand vom Inneren des Abwurfschachtes in Bereiche außerhalb des Müllabwurfschachtes hinein.
Bei einem anderen Brandereignis ist es zu einer Verpuffung gekommen, die Teile der raumabschließenden Wände teilweise zerstört haben. Vermutlich haben sich aufgrund eines anfänglichen Schwelbrandes Pyrolysegase im Abwurfsystem gesammelt, die sich nach Aufflammen des Brandes schlagartig entzündet haben. Bauliche Brandschutzmaßnahmen werden dadurch nicht vorhersehbar unwirksam.
Schadenverhütende Maßnahmen
Unter Betrachtung der oben beschriebenen denkbaren Szenarien sowie den gefahrerhöhenden Faktoren durch nicht selten auftretende bauliche Mängel gibt es im Prinzip nur eine Maßnahme, die allumfassend wirksam ist. Das ist die vollständige Stilllegung des gesamten Abwurfsystems, inklusive einer Reinigung des Schachtes sowie einem Verschließen aller Einwurföffnungen in den Fluren und in der Decke des Müllsammelraumes. Damit verbunden sind allerdings Einschränkungen im bislang gewohnten Komfort für die Bewohner. Umfangreiche Diskussionen in verschiedenen Internetforen oder auch der Widerstand von Mietern gegen ein umfassenderes baurechtliches Verbot in Berlin zeigen, dass die Umsetzung dieser aus sicherheitstechnischer Sicht besten Maßnahme alles andere als unkompliziert und einfach ist. [1, 2]
Darüber hinaus gibt es jedoch andere Möglichkeiten, die miteinander kombiniert zumindest ein noch akzeptables Maß an Sicherheit bieten können. Unterteilen kann man diese Maßnahmen in
• bauliche Maßnahmen
• anlagentechnische Maßnahmen
• organisatorische Maßnahme — Wartung, Instandhaltung
Bauliche Maßnahmen
Der Einwurfbereich muss durch einen Vorraum baulich abgetrennt sein. Hier empfiehlt sich, analog zu technischen Betriebsräumen, eine feuerbeständige Wand mit einer mindestens feuerhemmenden und rauchdichten Brandschutztür. Durch diese Maßnahme würde eine Schadensausweitung in weitere Geschosse theoretisch verhindert oder zumindest deutlich behindert werden.
Es bleibt jedoch die Gefahr der Ausweitung aufgrund baulicher Mängel. Hinzu kommen immer wieder zu entdeckende Mängel aus der Praxis, vor allem in großen, anonymen Wohnkomplexen, z. B. durch defekte oder manipulierte Brandschutztüren. Zudem können bei einer Verpuffung, wie oben beschrieben, eventuell die baulichen Trennungen zumindest teilweise zerstört werden. Alternativ zu einem baulich abgetrennten Bereich für den Müllabwurf wären auch Einwurfklappen denkbar, die einen entsprechenden zertifizierten Feuerwiderstand aufweisen. Hier wären die Hürden jedoch durch eine notwendige baurechtliche Zulassung im Einzelfall vergleichsweise hoch.
Anlagentechnische Maßnahmen
Es gibt Löschanlagen für Müllbehälter, die oberhalb des Sammelcontainers eine Löschdüse (Sprinkler) aufweisen und im Brandfall ein Feuer in dem Container löschen sollen. Die Wirksamkeit ist dabei sehr unterschiedlich. Einige Anlagen lösen temperaturgesteuert aus. Bei zu erwartenden Schwelbränden würde es dabei jedoch zu einer stark verzögerten Auslösung kommen, im ungünstigsten Fall gäbe es eine massive Rauchentwicklung ohne Überschreitung der erforderlichen Grenztemperatur.
Der Autor Klaus Walther hat in seinem Artikel Müllabwurfanlagen in Hochhäusern – ein Brandschutzproblem? (schadenprisma 2005 – 01) diese Problematik bereits genauer beschrieben. Sein Lösungsvorschlag besteht in der Änderung der auslösenden Kenngröße für die Löschanlage. Rauchmelder sowohl im Sammelraum als auch am höchsten Punkt des Schachtes sollen die Löschanlage im Brandfall auslösen. Diese Maßnahme würde die Sicherheit deutlich erhöhen. Grundsätzlich ist die Wirksamkeit der Sprinkler jedoch auch dann kritisch zu hinterfragen, vor allem hinsichtlich der Wirksamkeit bei Schwelbränden. Tieferliegende Glutnester in einem Müllcontainer, der möglicherweise eng gepressten Abfall beinhaltet, werden auch mit einer Löschanlage nur schwer erreicht. Die Folge wäre eine weitere kontinuierliche Rauchentwicklung und -ausbreitung. Hinzu kommt, dass nur der Müllsammelbehälter durch die Löschanlage geschützt wird. Bei einem Brand von verstopften Müllresten im Abwurfschacht kann diese keinen Schutz bieten.
Unabhängig von einer Löschanlage sollten der Müllraum und auch die Räume, in denen sich Einwurfklappen befinden, durch eine automatische Brandmeldeanlage überwacht werden. Bei einem Brandereignis könnte damit zumindest frühzeitig eine Gebäudeevakuierung und Alarmierung der Feuerwehr erfolgen.
Objektspezifisch sollte überprüft werden, ob sich die Entlüftungsöffnung des Müllabwurfschachtes und die Luftansaugöffnung der Lüftungsanlage in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Im Brandfall könnten durch die Lüftungsanlage Rauchgase angesaugt und im Gebäude verteilt werden. Eine mögliche technische Schutzmaßnahme wäre auch hier eine Brandmeldeüberwachung im Bereich der Lüftung mitsamt automatischer Abschaltsteuerung.
Organisatorische Maßnahme — Wartung, Instandhaltung
Die grundlegendste Maßnahme besteht jedoch in der regelmäßigen Wartung des gesamten Abwurfsystems (Klappen, Fallrohr, Entlüftung etc.). Das bestimmungsgemäße Verschließen aller Öffnungen kann zumindest für die Anfangsphase eines Brandereignisses eine Rauchausbreitung deutlich minimieren. Zudem müssen die Schächte regelmäßig gereinigt werden, dadurch wird das Risiko einer Verstopfung im Abwurfschacht reduziert.
Fazit
Müllabwurfanlagen bieten Bewohnern einen Komfort, auf den sie nur ungerne verzichten. Vor allem wenn diese sich über Jahrzehnte daran gewöhnt haben. Dagegen stehen nicht unwesentliche und kaum kalkulierbare Risiken im Bereich des Brandschutzes aufgrund einer unkontrollierten Ausbreitung von Rauch und Feuer auf einen gesamten Gebäudekomplex. Hinzu kommen Probleme im Bereich des Recyclings, des Lärmschutzes und der Hygiene. Wenn sich eine komplette Stilllegung im Einzelfall nicht durchsetzen lässt, muss zumindest eine sinnvolle Kombination an baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko bestmöglich zu reduzieren.
Sebastian Hoeps
Risikoingenieur Hauptabteilung Risk Engineering im Provinzial Konzern, Münster
Quelle: HDP Peters GmbH aus dem schadenprisma 01/2005
LITERATUR | QUELLENANGABEN [1] Müllschlucker: Komfort zu Lasten der Mülltrennung? | Berlin Recycling — Ihr Entsorger! (berlin-recycling.de) [2] Müllschlucker (berliner-mieterverein.de)