Rückblick
Mit Einführung einer 20 Jahre festgeschriebenen Einspeisevergütung für Photovoltaik- (PV-)Anlagen im Jahr 2001 wurden diese Anlagen zunächst auf privaten Wohngebäuden und dann verstärkt auf den Dächern von landwirtschaftlichen, Gewerbe- und Industriebetrieben installiert.
An den Installationen der letzten 20 Jahre lassen sich die geänderten Installationstechniken und der Wandel der Betriebsmittel gut erkennen. So wurden in den ersten Jahren oftmals 30-kWp-Anlagen mit drei Wechselrichtern installiert, Dünnschichtmodule oder in einigen Fällen Folienmodule. Die Anlagengrößen und Leistungen der Module sowie der Wechselrichter wurden stetig gesteigert, einige Hersteller und Produkte verabschiedeten sich vom Markt. Serienfehler bei Wechselrichtern und bei den Modulen waren auffällig.
Die Installationsnormen wurden überarbeitet, die Qualifikation der Errichter konnte gesteigert und Abnahmeprüfungen standardisiert werden. Heute sind Solarspeicher in der Größe von 100 kWh und PV-Leistungen bis 1 MWp nicht ungewöhnlich.
Ü20-Anlagen
Viele PV-Anlagen in den landwirtschaftlichen Betrieben erreichen in den nächsten Jahren das Ende der festgelegten Förderung und werden oftmals als sog. Ü20-Anlagen weiterbetrieben (Grafik 1).
Aus Sicht der Sachverständigen und der Sachversicherungen birgt dies neue Brandgefahren durch Verschleiß und Bauteilausfall. Bei gewerblich genutzten Gebäuden entsteht ein höherer Aufwand zur Risikoprüfung.
• Die Abgrenzung der alterungsbedingten Defekte gegenüber den äußeren Einflüssen ist nur teilweise möglich.
• Ertragsverluste durch Degradation (Leistungsverlust durch Alterung) sind nicht kalkulierbar.
• Ersatzteile sind nicht mehr verfügbar, ggf. sind Umbauten erforderlich.
• Umbauten und Erweiterungen von Altanlagen (Erweiterung um einen Batteriespeicher) sind technisch anspruchsvoller und fehleranfälliger als die Erstellung einer Neuanlage.
• Es bestehen Haftungsrisiken für den Elektrofachbetrieb.
Durch die seit einigen Jahren diskutierten Maßnahmen zum Klimaschutz und nun verstärkt durch die massiven Preissteigerungen importierter fossiler Energieträger versuchen Industrie- und Gewerbebetriebe heute schnellstmöglich die vorhandenen Dachflächen zur Aufstellung von PV-Anlagen zu nutzen. So kommt es verstärkt zu kontroversen Diskussionen zwischen Gebäudeeigentümer, Planer und Versicherer über brandschutztechnische Bewertungen und mögliche Risikoerhöhungen.
Brandschäden und Risikobetrachtung bei PV-Anlagen
In den Medien werden immer wieder die Fragen aufgeworfen, ob PV-Anlagen für die Gebäude eine erhöhte Brandgefahr darstellen und inwieweit die Löscharbeiten der Feuerwehren erschwert werden. Die Auswertung von Pressemeldungen und die Schadenerfahrungen der Versicherer zeigen, dass es immer wieder zu einzelnen Brandschäden kommt. Es kann jedoch keine besondere Häufung von Dachbränden, ausgelöst durch PV-Anlagen, festgestellt werden.
Leider existieren hierzu keine bundesweit erhobenen Daten und Statistiken. Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) verfügt über keine entsprechende Statistik, sodass die Versicherer jeweils ihre eigenen Zahlen auswerten müssen.
Trotz aller Verbesserungen ist festzustellen, dass, selbst wenn eine normenkonforme Planung, Installation und Abnahme erfolgt, ein Restrisiko der Brandentzündung verbleibt. Darin unterscheidet sich eine PV-Anlage nicht von anderen technischen Anlagen.
Dieses Restrisiko kann z. B. im Versagen von Steckverbindern, Modulen oder elektronischen Komponenten bestehen. Kommt es zu einem Fehler in einem der o. g. Betriebsmittel, können durch den entstehenden Gleichstromlichtbogen brennbare Materialien auf dem Dach oder der Dachkonstruktion entzündet werden. Auch muss berücksichtigt werden, dass die Module selbst mit ihren Rückseitenfolien und Modulanschlussdosen eine Brandlast darstellen.
URTEIL OLG OLDENBURG vom 23.09.2019 – 13 U 20/17
Im Jahr 2013 kam es in Wittmund zum Brand eines Elektronikmarktes. Nach den Gutachten zur Brandursache wurde dieser durch die PV-Anlage ausgelöst. Der Errichter der PV-Anlage wurde für den Schaden in die Haftung genommen. Folgende Feststellung ist im Urteil beschrieben:
„Eine Dach-Photovoltaikanlage muss so installiert werden, dass eine sichere Trennung zwischen den elektrischen Komponenten als Zündquellen und der Dachoberfläche als Brandlast gewährleistet ist. Andernfalls muss die Montage unterbleiben. […]
Die Nichtbeachtung der einschlägigen anerkannten Regeln der Technik ist kein Fall leichter Fahrlässigkeit.“
Die in diesem Urteil geforderte „sichere Trennung“ kann für die typischen Dachaufbauten in Industrie und Gewerbeobjekten nicht erreicht werden. Damit wäre die Installation von PV-Anlagen und allen anderen elektrischen Betriebsmitteln auf solchen Dächern ausgeschlossen. Bei einer näheren Beschäftigung des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens fällt allerdings auf, dass eine VDE-Norm herangezogen wurde, die einen gravierenden Übersetzungsfehler enthielt. Dieser wurde im März 2022 korrigiert.
VDE 0100-100 BERICHTIGUNG 1:2022-03
VDE 0100-100 „Errichten von Niederspannungsanlagen Teil 1: Allgemeine Grundsätze, Bestimmungen allgemeiner Merkmale, Begriffe“
Der in der Norm vorhandene und fehlerhaft übersetzte Text lautete:
Alle elektrischen Betriebsmittel, die wahrscheinlich hohe Temperaturen oder elektrische Lichtbögen verursachen können, müssen so angebracht oder geschützt werden, dass kein Risiko der Entzündung von brennbaren Materialien besteht.
Dieser wurde durch die korrekte Übersetzung ersetzt:
Alle elektrischen Betriebsmittel, die wahrscheinlich hohe Temperaturen oder elektrische Lichtbögen verursachen können, müssen so angebracht oder geschützt werden, dass das Risiko der Entzündung von brennbaren Materialien minimiert wird.
Durch diese Korrektur der Norm wurde erreicht, dass mit diesem Normentext kein absoluter Ausschluss von elektrotechnischen Installationen im Dachbereich mehr begründet werden kann. Es besteht nun die Möglichkeit, risikominimierende Maßnahmen zu planen und umzusetzen. So kann die o. g. normative Anforderung erfüllt werden.
Vereinfacht ausgedrückt kann gesagt werden, dass bei der Installation einer PV-Anlage auf einem Dach mit brennbaren Bestandteilen die technisch möglichen Maßnahmen zur Risikominimierung umzusetzen sind.
VdS Richtlinien
Nach dem OLG-Urteil wurde von vielen Unternehmen der Versicherungswirtschaft und den Planern von PV-Anlagen der Wunsch nach einer Hilfestellung bei der Bewertung des Risikos zur Brandentstehung auf dem Dach durch die PV-Anlage und möglicher Maßnahmen geäußert. Daraufhin beauftragten die Gremien des GDV eine Arbeitsgruppe, ergänzend zur bereits bestehenden VdS 3145 „Photovoltaikanlagen“, eine Richtlinie VdS 6023 „Photovoltaik- Anlagen auf Dächern mit brennbaren Baustoffen“ zu erarbeiten und der Fachöffentlichkeit vorzulegen.
Maßnahmen zur Risikominimierung bei brennbaren Dachbestandteilen
Die VdS 6023 beschreibt die folgenden risikominimierenden Maßnahmen (Auszüge):
Bauliche Maßnahmen
• Austausch der Dachdämmung (brennbar → nicht brennbar)
• Aufbringen einer nicht brennbaren Trennschicht, z. B. Kiesschüttung, Blech, Mineralfaserdämmstoff
Technische Maßnahmen
• Installation eines Wechselrichters mit Gleichstrom-Lichtbogenerfassung und -unterbrechung nach UL1699B oder IEC/EN 63027 (mit der Bestätigung, dass diese aktiviert wurde – keine automatische Wiedereinschaltung)
Erläuterung: Eine Gleichstrom-Lichtbogenerfassung und -unterbrechung (AFPE) nach IEC 63027 erkennt einen Lichtbogen im DC-Kreis einer PV-Anlage und schaltet den betroffenen Strang ab, bevor sich brennbare Materialien entzünden können.
Diese Schutzfunktion ist in den USA bei vielen PV-Anlagen seit Jahren vorgeschrieben und wird dort eingesetzt. Mit der zunehmend kritischen Diskussion über PV-Anlagen auf brennbaren Dächern begannen die meisten Wechselrichter- Hersteller diese Zusatzfunktion auch für den europäischen Markt in ihre Produkte einzubauen und freizugeben. Für einige Geräte der höheren Leistungsklasse bieten die Hersteller diese Schutzfunktion bereits kostenlos an. In den letzten Jahren wurden diese Lichtbogendetektoren nach der amerikanischen Norm UL 1699B zertifiziert. Die europäische Norm IEC 63027 wurde im Mai 2023 fertiggestellt und veröffentlicht.
Aktuell besteht in der EU keine normative Verpflichtung zum Einsatz dieser Schutztechnik. Aus diesem Grund sind die Lichtbogendetektoren im Auslieferungszustand des Wechselrichters deaktiviert und müssen durch den Inbetriebnehmer eingeschaltet werden. Eine schriftliche Bestätigung des Installationsbetriebes, dass die Lichtbogenüberwachung aktiviert ist und keine automatische Wiedereinschaltung erfolgt, ist unbedingt erforderlich.
Einschränkend ist festzuhalten, dass auch durch eine Lichtbogendetektion und Abschaltung nicht alle Brandrisiken ausgeschlossen werden können. So kann z. B. der doppelte Erdschluss oder ein Kurzschluss durch die gleichzeitige Beschädigung der Plus- und Minusleitung vom Wechselrichter nicht abgeschaltet werden. Allerdings treten diese Fehler vergleichsweise selten auf und das Risiko kann durch einen fachgerechten Aufbau und eine ordnungsgemäße Instandhaltung minimiert werden.
Organisatorische Maßnahmen
• Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen mit regelmäßigen Prüfungen:
› Prüfung / Wartung nach VDE 0105- 100 bzw. VDE 0126-23-1 und -2, dazu gehören z. B. eine fachkundige Sichtkontrolle sowie Messungen von Isolationswiderständen, Leerlaufspannungen und Kurzschlussströmen
› Mindestens Durchführung einer halbjährlichen Sichtkontrolle und nach besonderen Ereignissen, z. B. Sturm
› Empfehlung: Jährliche Thermografie, um die Bildung von überhitzten Punkten auf den Modulen oder auffällige Modulanschlussdosen erkennen zu können
› Alle 4 Jahre ist eine messtechnische Überprüfung der Anlage erforderlich
• Aufschaltung und Auswertung von Störmeldungen aus Anlagenschutzeinrichtungen und Gefahrenmeldeanlagen
› kein automatisches Wiedereinschalten nach einem erkannten Fehler
› klare Meldewege sind einzurichten und regelmäßig zu testen
› je nach Meldung sind angepasste Interventionszeiten festzulegen
› bei temporärer Außerbetriebnahme von Anlagenschutz- bzw. Gefahrenmeldesystemen
sind Ersatzmaßnahmen festzulegen
• Der Abschluss eines Wartungsvertrages mit einem PV-Fachbetrieb wird empfohlen
Diese o. g. Maßnahmen können das Risiko der Brandentzündung durch eine PV-Anlage minimieren. In Abhängigkeit vom konkreten Dachaufbau, Inhalt und Wert des Objektes können von den Versicherungsunternehmen einzelne Maßnahmen oder deren Kombinationen als brandschutztechnische Voraussetzung für die Installation einer PV-Anlage auf einem Gewerbe-/Industrieobjekt gefordert werden.
Unabhängig von den o. g. Maßnahmen müssen selbstverständlich alle normativen Anforderungen an die Installation vollständig erfüllt werden. Weiterhin wird in der Richtlinie die Abnahme der Anlage nach Fertigstellung durch einen vom VdS anerkannten Sachverständigen für PV-Anlagen empfohlen.
NEUE ENTWICKLUNGEN
PV-Anlagen /Agri-PV
Quick-Facts: Agri-Photovoltaik (Agri-PV)
Installierte Leistung weltweit ca. 14 GWP
Technisches Potenzial in Deutschland ca. 1.700 GWP
Vorteile
– riesiges Flächenpotenzial
– günstiger als kleine PV-Dachanlagen
– Zusatznutzen für die Landwirtschaft, u. a. durch Schutz vor Hagel-, Frost und Dürreschäden
Herausforderungen
– zuverlässige Prognosen landwirtschaftlicher Erträge
– Optimierung des Anlagendesigns hinsichtlich der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung
– Sicherung der landwirtschaftlichen Hauptnutzung für Agri-PV mit Tierhaltung
Seit einigen Jahren wird über eine „Doppelnutzung“ von Agrarflächen zur Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten und Solarenergie diskutiert. Diese Anlagen werden in Veröffentlichungen als „Agri-PV-Anlagen“ bezeichnet. Heute sind erste Pilotanlagen in Betrieb, die Fachverbände und wissenschaftlichen Institute sehen hier ein großes Potenzial zur Nutzung für PV-Anlagen.
Betriebs- oder Schadenerfahrungen liegen zurzeit nicht vor. Es ist jedoch zu erwarten, dass bei PV-Anlagen, die über maschinell bearbeiteten Flächen betrieben werden, bei Modulen und elektrischen Installationen mit einem hohen Verschleiß und bei Tragsystemen mit Anfahrschäden zu rechnen ist.
Im landwirtschaftlich-produktionstechnischen Sinn erscheinen Agri-PV-Anlagen für einzelne Kulturen allein vor dem Hintergrund der Doppelnutzung der landwirtschaftlichen Flächen recht interessant. So kann in Sonderkulturen wie Obst oder Wein anstatt Hagelschutznetzen der Schutz von oben durch PV-Module von Vorteil sein. Auch die Beschattung kann bspw. bei Äpfeln Sonnenbrand verhindern. Sofern die Module in ihrer Ausrichtung steuerbar sind, kann auf unterschiedliche Sonneneinstrahlung oder andere Witterungseinflüsse reagiert werden. Effekte wie Schutz vor Wind und damit auch Verminderung von Austrocknung bzw. Verdunstung sind Aspekte, die für einzelne Kulturen positiv wirken können. Es gibt allerdings auch Kulturen, bei denen eine zusätzliche Beschattung nachteilig sein kann, wie bei Getreide oder Soja.
Schlussendlich ist es tendenziell so, dass das rentable Aufbauen und Betreiben einer Agri-PV-Anlage auch von den erforderlichen baulichen Erfordernissen und Möglichkeiten abhängt. So muss einerseits die Überbauung von landwirtschaftlichen Flächen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten der Fläche selbst möglich und rechtlich zulässig sein. Andererseits muss das Verhältnis des finanziellen Aufwandes durch die erhöhten Installationen auf Unterbauten oder mit Abständen zu den angebauten Kulturen passen. So scheinen aufwändige Konstruktionen, die bspw. in der Höhe Platz für große selbstfahrende Arbeitsmaschinen wie bspw. Mähdrescher benötigen, eher unverhältnismäßig zu sein. Hier wären reine Freiflächen-PV-Anlagen eher im Vorteil. Es spielen auch die vor Ort herrschenden Rahmenbedingungen, sowohl die Anschlussmöglichkeiten an das Stromnetz als auch genehmigungsrechtliche Fragestellungen, eine entscheidende Rolle. Hier erscheinen derzeit noch die rechtlichen Rahmenbedingungen als einigermaßen unsicher bzw. in dynamischer politischer Veränderung.
Quick-Facts: Schwimmende Photovoltaik (FPV)
Installierte Leistung weltweit 2,6 GWP
Technisches Potenzial in Deutschland ca. 44 GWP (künstliche Seen)
Vorteile
– Entschärfung von Nutzungskonkurrenzen um Landflächen
– keine Flächenaufbereitung oder -pflege notwendig
– erhöhte Stromproduktion durch Kühleffekt des Wassers
– weniger Wasserverluste durch Verdunstung
– geringere Wassertemperatur wegen partieller Verschattung durch die Anlage
– Synergieeffekt bei Zusammenschaltung mit Wasserkraftwerken, Pumpspeicherkraftwerken oder Offshore-Windkraftanlagen
Herausforderungen
– erhöhter Montage- und Serviceaufwand
– Wasserbeständigkeit der Anlage
– Verankerung bei starker Strömung, Wellengang oder Wasserspiegelschwankungen
– Beschränkung auf ökologisch unbedenkliche Materialien wegen Gewässerschutz
Auch die Nutzung von Gewässerflächen als „Floating-PV-Anlagen“ wird zurzeit erprobt. Bei dieser Nutzung ist ebenfalls ein großes technisches Potenzial vorhanden, um PV-Anlagen ohne Flächenverbrauch auf z. B. gefluteten stillgelegten Tagebauen oder Kiesgruben zu installieren und betreiben zu können. Einzelne Anlagen wurden bereits realisiert, Betriebs- und Schadenerfahrungen liegen noch nicht vor.
Dipl.-Ing. Lutz Erbe,
VGH Versicherungen, Hannover
Christoph Strüver,
Abteilungsleiter, VGH Versicherungen, Hannover
LITERATUR | QUELLENANGABEN
• VdS 3145 „Photovoltaikanlagen“
• VdS 6023 „Photovoltaik-Anlagen auf Dächern mit brennbaren Baustoffen“
• Fraunhofer Institut ISE https://www.ise.fraunhofer.de/de/leitthemen/integrierte-photovoltaik/agriphotovoltaik-agri-pv.html
• Fraunhofer Institut ISE https://www.ise.fraunhofer.de/de/leitthemen/integrierte-photovoltaik/schwimmende-photovoltaik-fpv.html