Am 13. und 14. Juli fielen über den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz großflächig mehr als 100 mm Niederschlag – an einigen Messstationen wurden sogar mehr als 150 mm registriert. Darüber hinaus konnte anhand der RADOLAN-Daten an einigen Risikostandorten des Provinzial Konzerns – vor allem in Hagen – sogar über 180 mm abgeleitet werden.
Ausgelöst durch diese intensiven Niederschläge entstanden enorme Schäden, die sich mittlerweile auf über sieben Milliarden Euro aufsummieren. Zusätzlich zu den beträchtlichen Sachschäden forderte das Ereignis mehr als 170 Todesopfer und über 800 verletzte Personen.
In dem vorliegenden Artikel werden sowohl die meteorologische Situation als auch die räumlichen Gegebenheiten erläutert, die zu den hohen Schadensummen führten. Darüber hinaus werden erste Analysen anhand der gemeldeten Schäden sowie externer Datenquellen – wie beispielsweise den anhand der Topografie abgeleiteten Starkregengefahrenklassen – präsentiert.
Meteorologische Situation
Der Sommer 2021 war von sehr wechselhaftem Wetter mit lediglich einer längeren Hitzeperiode sowie einer Vielzahl von Niederschlagsereignissen geprägt. Die Folge hierdurch war, dass die Böden nahezu gesättigt waren und Gewässer bereits hohe Pegelstände aufwiesen.
Das Tiefdruckgebiet „Bernd“ lag am 13. Juli über Deutschland und führte entlang seines Frontensystems feuchtwarme Luft aus dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa (Bild 1). Dieser Transport führte bereits am 12. und 13. Juli zu intensiven Niederschlagsereignissen.
Bild 1 zeigt den Luftmassentransport aus dem Mittelmeerraum über den Südosten Europas nach Nord- und Westdeutschland. Während des Transports wurde die Luft durch die im Vergleich zum langjährigen Mittel mehr als 7 °C wärmere Ostsee wieder angefeuchtet. Daraus resultierten über Nord- und Westdeutschland hohe Werte des ausfällbaren Wassers von über 40 mm.
Am 14. Juli verlagerte „Bernd“ seinen Schwerpunkt mit geringer Geschwindigkeit in Richtung Nordosten (Bild 2) und löste unter anderem stationäre Niederschlagsgebiete im Rheinland mit den eingangs beschriebenen Niederschlagssummen aus.
In Tabelle 1 sind die Tagesniederschlagsmengen vom 13. und 14. Juli dargestellt. Im Gegensatz zu anderen Starkregenereignissen, die gewöhnlich auf einen kleinen Bereich konzentriert sind, meldete eine Vielzahl an Messstationen hohe Niederschlagssummen von mehr als 100 mm.
Einen Überblick über die Ausdehnung der Niederschlagsgebiete zeigen die aus der Kombination von Radar- sowie Stationsdaten erzeugten RADOLAN-Daten (Bild 3). Die dargestellten in 48 Stunden gefallenen Niederschlagssummen liegen großflächig über den langjährigen Werten für die durchschnittliche Niederschlagssumme im Juli. In manchen Gebieten in Nordrhein-Westfalen sowie beispielsweise an der Ahr wurde dieser Wert um mehr als 50 % übertroffen.
Eine Einordnung der Niederschläge erlaubt der Vergleich der anhand von Stationsmessungen sowie Radardaten abgeleiteten Niederschlagsmengen mit historischen Ereignissen. In diesem Fall sind es die Niederschläge, die im Juni 2016 in Süddeutschland und vor allem in Simbach und Braunsbach zu Schäden in Höhe von nahezu einer Milliarde Euro führten (Bild 4). Neben dem Vergleich mit den im Sommer 2016 aufgetretenen Niederschlagssummen sind dem Bild 4 auch die welt- und deutschlandweiten maximalen Niederschlagssummen je Dauerstufe zu entnehmen.
Aus der Darstellung geht hervor, dass die Niederschlagssummen vom 13. und 14. Juli für die meisten Dauerstufen oberhalb der Niederschlagsmengen aus Simbach aber deutlich unterhalb der maximal in Deutschland registrierten Niederschlagsmengen liegen. Dennoch liegen die Schäden deutlich oberhalb der bislang bei einem Elementarereignis beobachteten Schäden.
Die beiden nachfolgenden Abschnitte sollen daher Ansatzpunkte geben, warum sich die versicherten Schäden auf mittlerweile mehr als 7,5 Milliarden Euro aufsummieren und die Frage beantworten, ob sich die Schadensummen infolge von „Bernd“ in anderen (Einzugs-) Gebieten wiederholen könnten.
Analysen
Für die Auswertungen standen die Schäden der Provinzial Versicherung zur Verfügung. Betrachtet wurden für diese Auswertung allerdings nur die Schäden an privat genutzten Gebäuden mit der Schadenursache Starkregen. Der Grund für die Betrachtung der Schäden an privat genutzten Gebäuden hängt vor allem zusammen mit der höheren Adressqualität der Daten im Vergleich zu anderen Geschäftsfeldern und der dadurch gesteigerten Aussagekraft bei der Verschneidung mit weiteren georeferenzierten Daten wie beispielsweise den Niederschlagssummen oder den Starkregengefahrenklassen.
Analyse der Schadendaten
Für eine erste Betrachtung und Bewertung des Ereignisses „Bernd“ wurden die Schadenhäufigkeit als Quotient aus Schadenanzahl und Bestand für am 13. und 14. Juli gemessene Niederschlagssummen gebildet. Hierfür wurden die RADOLAN-Daten – eine Kombination aus Radar- und Stationsdaten – des Deutschen Wetterdienstes verwendet. Die RADOLAN-Daten liegen in stündlicher Auflösung auf einem Raster mit einer Gitterweite von 1 km vor. Für eine erste Abschätzung der Betroffenheit der Unternehmen Provinzial NordWest sowie der Provinzial Rheinland wurde der jeweilige (Elementar-)Bestand mit den Niederschlagsdaten verschnitten.
Aus Bild 5 geht deutlich hervor, dass der Bestand der Provinzial Rheinland deutlich stärker von den Niederschlägen getroffen wurde. Während bei der PNW mehr als 60 % des Bestands von weniger als 50 mm Niederschlag getroffen wurden, liegt der Anteil bei der PRV lediglich bei 32 %. Dagegen stand fast jedes vierte bei der PRV versicherte Gebäude in einer Rasterzelle mit mehr als 100 mm Niederschlag (PNW 7,25 %).
Während der Bestand der PRV im Vergleich mit dem Bestand der PNW von deutlich größeren Niederschlagsmengen getroffen wurde, lässt sich bei der anhand der Schadenhäufigkeit je Niederschlagsmengen abgeleiteten Schadenwirkung kein signifikanter Unterschied zwischen PNW und PRV feststellen – daher werden beide Unternehmen in Bild 6 auch gemeinsam dargestellt.
Aus Bild 6 wird deutlich, dass unterhalb einer Niederschlagsmenge von etwa 50 mm nur wenige Schäden auftreten und die Schadenhäufigkeit ab diesem Wert streng monoton zunimmt.
Die Niederschlagssumme ist daher für eine erste Einschätzung des Schadengeschehens gut geeignet.
Allerdings kann die Aussagekraft durch die anhand eines Digitalen Geländemodells (DGM) mit einer Gitterauflösung von fünf Metern abgeleiteten Starkregengefahrenklassen (SGK) weiter gesteigert werden. Auf Bild 7 ist daher der Zusammenhang zwischen der Schadenhäufigkeit und Niederschlagssumme in Abhängigkeit von den Starkregengefahrenklassen dargestellt.
Die Starkregengefahrenklassen (SGK) werden seit 2019 über ZÜRS (Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen) bereitgestellt und basieren auf anhand eines Digitalen Geländemodells abgeleiteten Landformklassen (z. B. Kuppe, Senke, Ebene und verschiedene Hangbereiche) sowie der Nähe zu Gewässern. In Starkregengefahrenklasse 3 liegen beispielsweise alle Adressen in Senken oder Adressen in unterer sowie mittlerer Hanglage, die zusätzlich in der Nähe von Gewässern liegen.
Bild 7 zeigt sehr deutlich, dass Risiken in Starkregengefahrenklasse 3 bei gleicher Niederschlagsmenge deutlich häufiger beschädigt werden als Risiken in Starkregengefahrenklasse 1 oder 2. Diese Verteilung konnte anhand ähnlicher Auswertungen auch schon für andere Ereignisse, z. B. Quintia 2014 in Münster, gebildet werden und belegt, dass die Starkregengefahrenklassen nicht nur für die Risikobewertung im Rahmen der Tarifierung, sondern auch für die Bewertung einzelner extremer Ereignisse herangezogen werden können. Allerdings wird für die Starkregengefahrenklassen nur die unmittelbare Umgebung um die jeweilige Adresse analysiert, die großräumigen Gegebenheiten werden nicht betrachtet. Somit wird der Transport von Geröll oder Geäst aus der Umgebung mit der entsprechenden Schadenwirkung nicht betrachtet. Im folgenden Kapitel wird daher anhand von gröber aufgelösten Geländemodellen die mittlere Neigung für alle Einzugsgebiete bestimmt und somit versucht, eine Abschätzung für das Risiko in anderen Einzugsgebieten vorzunehmen.
Analyse der Topografie in den Flusseinzugsgebieten
Die Frage nach dem Schadenvolumen von „Bernd“ im Vergleich zur durch „Elvira“ und „Friederike“ ausgelösten Unwetterserie führt zunächst zur Analyse der Topografie. Hierfür wurde die Neigung anhand verschiedener Digitaler Gelände- und Oberflächenmodelle in den über die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) bereitgestellten Einzugsgebieten berechnet.
Für die Analyse wurde das Digitale Geländemodell (DGM) des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) mit einer Gitterauflösung von 200 Metern sowie das Digitale Oberflächenmodell (DOM) der Copernicus-Mission mit einer Auflösung von 200 Metern herangezogen. Die für Auswertungen im Kontext Starkregen sehr geringe Auflösung ist hierbei ausreichend, weil lediglich eine grobe Einschätzung der Reliefenergie und keine Gefährdungsanalyse erstellt werden soll.
Tabelle 2 (folgende Seite) zeigt die fünf Einzugsgebiete mit der maximalen durchschnittlichen Neigung und der hieraus resultierenden Reliefenergie und zusätzlich die Neigungen in den Einzugsgebieten von Ahr, Inn und Neckar. Es wird deutlich, dass die Neigung an der Ahr mit knapp 6° deutlich oberhalb der Neigung in den Einzugsgebieten Neckar (Braunsbach) und Inn (Simbach) einzuordnen ist. Aus der höheren Neigung und der daraus verbundenen Reliefenergie resultieren vor allem erhöhte Fließgeschwindigkeiten sowie der Transport von Geröll und Ästen – als Folge erhöht sich die Schadenwirkung bei gleicher Niederschlagsmenge deutlich.
Aus Tabelle 2 geht weiterhin hervor, dass Einzugsgebiete wie Amper oder Salzach aufgrund der gegenüber der Ahr höheren Neigung eine entsprechend höhere Gefährdung und demzufolge auch eine höhere Reliefenergie aufweisen.
Zur Abschätzung des Schadenpotenzials wurden alle Wohngebäude aus dem Gebäudebestand der Zentralen Stelle für Hauskoordinaten und Hausumringe (ZSHH) in den Einzugsgebieten mit einer durchschnittlichen Neigung von mindestens 5° herangezogen und mit den Starkregengefahren- und Hochwasserklassen aus ZÜRS angereichert. In Summe standen somit etwa acht Millionen Wohngebäude zur Verfügung, die mit den Gefahrenklassen angereichert werden konnten.
Durch diese Informationen können die getätigten Analysen auf andere Einzugsgebiete übertragen und somit grob abgeschätzt werden, welche Einzugsgebiete verglichen mit dem Einzugsgebiet der Ahr höhere Schadenpotenziale bei einem vergleichbaren Niederschlagsereignis aufweisen würden. Aufgrund der Ergebnisse aus dem Starkregenprojekt, das der GDV gemeinsam mit dem DWD durchgeführt hat, ist eine Übertragung der im Rahmen von „Bernd“ registrierten Niederschlagssummen auf andere Einzugsgebiete zulässig. So konnte im Starkregenprojekt gezeigt werden, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit von Starkniederschlägen in Deutschland an jedem Ort in vergleichbarer Größenordnung liegt (für weitere Informationen siehe GDV, 2019).
In Tabelle 3 und Tabelle 4 sind die Verteilungen der Wohngebäude in den jeweiligen Einzugsgebieten auf die Starkregen- und Hochwassergefahrenklassen aus ZÜRS ausgewiesen. Zur Einschätzung des Schadenpotenzials ist auch die Anzahl der Wohngebäude sowie das zugehörige durchschnittliche oberirdische Volumen aufgeführt.
Aus den beiden Tabellen geht hervor, dass im Einzugsgebiet der Ahr mehr als jedes vierte Wohngebäude in der Starkregengefahrenklasse 3 – beispielsweise in einer Senke – liegt und damit besonders exponiert gegenüber Starkregen ist. Dieser Wert wird allerdings deutlich von der Schwarza übertroffen: In diesem Einzugsgebiet liegen mehr als 37 % der Wohngebäude in der höchsten Gefahrenklasse. Da allerdings die Anzahl der vorhandenen Wohngebäude im Einzugsgebiet der Schwarza deutlich unterhalb der Anzahl der Wohngebäude im Einzugsgebiet der Ahr liegt, ist der mögliche Gesamtschaden bei einem mit „Bernd“ vergleichbaren Ereignis tendenziell geringer einzuschätzen. Diese Aussage wird durch das durchschnittliche (oberirdische) Volumen der Wohngebäude unterstützt, das mit 577 m3 deutlich unterhalb der anderen betrachteten Einzugsgebiete liegt.
Auch wenn mangels verfügbarer Schadenzahlen keine absoluten Schadenpotenziale in den einzelnen Einzugsgebieten ausgewiesen werden können, lässt sich durch die Auswertungen festhalten, dass sich vergleichbare oder sogar höhere Schadensummen wie infolge von „Bernd“ auch in anderen Einzugsgebieten wiederholen können. Exemplarisch sei hierfür das Einzugsgebiet der Murg genannt, das, verglichen mit dem Einzugsgebiet der Ahr, durch eine deutlich höhere mittlere Neigung sowie vergleichbarer Verteilung der Wohngebäude auf die Starkregen- und Hochwassergefahrenklassen charakterisiert ist.
Fazit
Das Schadenereignis „Bernd“ war bezüglich Ausdehnung, Dauer sowie der hieraus resultierenden Schadenwirkung außergewöhnlich und wird – nicht nur in der Versicherungswirtschaft – zu einem Umdenken in der Bewertung von Naturgefahren führen.
Dennoch lässt sich aus den ersten Analysen schlussfolgern, dass ein Ereignis mit vergleichbarer Intensität und Ausdehnung in anderen Einzugsgebieten aufgrund der Topografie sowie der vorhandenen Wohngebäude und deren Lage noch höhere Schäden verursachen könnte. Allerdings wird der Schaden bei einem vergleichbaren Niederschlagsereignis in einem Großteil der Einzugsgebiete deutlich geringere Schäden verursachen.
Analog zu der Verarbeitung der Schäden sowie den Aufräumarbeiten werden auch in der Versicherungswirtschaft die Analysen sowie die daraus resultierenden Anpassungen – beispielsweise an Modellen – noch lange andauern.
Dr. Tim Peters
Artificial Intelligence & Data Development
Provinzial Konzern
tim.peters@provinzial.de
LITERATUR UND WEITERFÜHRENDE QUELLEN
• C EDIM (2021)
Hochwasser Mitteleuropa, Juli 2021 (Deutschland), https://www.cedim.kit.edu/download/FDA_ HochwasserJuli2021_Bericht1.pdf
• D WD (2021)
Dr. Lengfeld: Starkregen und Sturzfluten – Warum wir bei diesen Naturgefahren so verwundbar sind
• G DV (2019) Forschungsprojekt Starkregen, https://www.gdv.de/de/themen/news/forschungsprojekt-starkregen-52866