Chinesisches Porzellan und russische Literatur
In den letzten Jahren gab es diverse Diebstähle von hochwertigem chinesischem Porzellan aus Museen und privaten Sammlungen in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Im Februar 2023 drangen Diebe in das Keramikmuseum Princessehof in Leeuwarden ein und entwendeten wertvolle chinesische Keramiken. Im September 2023 fiel das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln zum Opfer eines ähnlichen Einbruchs, gefolgt vom Römer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim im Oktober 2023, in diesen beiden Fällen wurde chinesisches Porzellan entwendet. Diese Einbrüche wurden innerhalb weniger Minuten durchgeführt, was auf eine sorgfältige Vorbereitung, tiefere Kenntnisse über Sicherungstechnik sowie die örtlichen Sicherheitseinrichtungen hinweist.
Diese sehr durchgeplanten und oft dramatischen Diebstähle haben nicht nur den Verlust unschätzbarer historischer und kultureller Objekte zur Folge, sondern werfen auch ernste Fragen darüber auf, ob die Sicherheitsmaßnahmen in vielen Museen und Ausstellungshäusern noch dem Stand der Technik entsprechen. Auch die Organisation und Intervention sind hier kritisch zu hinterfragen.
Von den vorgenannten Diebstählen besonders betroffen sind Museen, die hochwertige Stücke aus der Ming- und Qing-Dynastie ausstellen. Am begehrlichsten sind hier die Stücke, die seinerzeit für den chinesischen Markt produziert wurden. Herausragende Begehrlichkeiten sind bei Objekten mit Provenienz zum Kaiserhof zu beobachten.
Aktuelle Sicherheitsmängel
Als häufigste Sicherheitsmängel sind Einbruchmelde- und Videoüberwachungs- sowie mechanische Sicherungssysteme zu benennen, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen und die die momentanen Tätervorgehensweisen nicht berücksichtigen. Insbesondere bei Vitrinen wird immer wieder ein viel zu niedriges Widerstandsniveau festgestellt, was auch bei den „prominenten“ Einbruchsfällen der letzten Zeit überaus deutlich wurde. Die Bilder des Vitrinenaufbruchs im Grünen Gewölbe und die Bilder der Bodenvitrine in Manching dürften vielen noch präsent sein.
Dabei sind mit den VdS Richtlinien VdS 2311 (Einbruchmeldeanlagen) und 2366 (Videoüberwachungsanlagen) sowie der VdS Richtlinie 6029 (Vitrinen) bereits umfassende Regelwerke vorhanden.
Vitrinen können jetzt in Klassen von „V1“ bis „V4“ zertifiziert werden, wobei die Klasse V1 einen Schutz vor dem Zugriff mit einfachen, versteckt zu tragenden Werkzeugen während der Öffnungszeiten bietet. Die Klassen V2 bis V4 beziehen sich auf die nicht offenen Zeiten, die höchste Vitrinenklasse „V4“ bietet gegen Angriffe mit handelsüblichen mechanischen und elektrischen Werkzeugen außerhalb der Öffnungszeiten Schutz.
Diese neue Möglichkeit auf Zertifizierungen zurückgreifen zu können, sollte unbedingt flächendeckend genutzt werden, insbesondere, da die Vitrinen hier einer umfassenden und zerstörenden Prüfung unterzogen werden, was bisher bei den Herstellern nicht beobachtet werden konnte.
Neue Sicherheitsrichtlinien des GDV
Darüber hinaus hat bereits 2022 eine Arbeitsgruppe des GDV die Arbeit an der Aktualisierung der Sicherheitsrichtlinien für Museen und Ausstellungshäuser (VdS 3511) aufgenommen.
Hier sind neben Vertretern der Museen, des deutschen Museumsbundes, des SILK und diversen Versicherern auch die Strafverfolgungsbehörden und externe Sachverständige mit eingebunden.
Die Neufassung der Richtlinie wird voraussichtlich im 1. Halbjahr 2025 vorliegen. Bei der Erstellung fließt selbstredend die aktuelle Kriminalitätsentwicklung mit ein (Maple Leaf Bode Museum Berlin, Grünes Gewölbe Dresden, Keltenschatz Manching, Van Gogh Singermuseum Laren, die vorgenannten Fälle „Chinesisches Porzellan“ etc.).
Organisatorische Sicherheit und ihre aktuelle Rolle
Wenn Einbruchmeldeanlagen fehlausgelöst werden, wird oftmals der betreffende Melder aus der Überwachung herausgenommen, um die Einbruchmeldeanlage wieder scharf schalten zu können. Im ungünstigsten Fall wird der Melder dann vergessen oder der Errichter erst bei der nächsten Wartung – so er diese denn gewissenhaft durchführt – auf den Mangel aufmerksam und stellt ihn ab.
Beschädigungen an der Außenhaut des Gebäudes werden bis zur Reparatur nicht auf dem gleichen Sicherheitsniveau vorübergehend geschlossen und die werthaltigen Objekte im Gebäude werden nicht vorübergehend in geeignete Räume umgelagert.
Die vorgenannten Schadenfälle haben gezeigt, dass derartige Nachlässigkeiten auf der organisatorischen Ebene von den Tätern genutzt werden. Und zwar erfolgreich. Auch der Mangel an fachlich ausreichend geschultem technischem Personal in den Museen spielt den Tätern oftmals in die Hände.
Nicht nur ostasiatische Kunst ist derzeit hochbegehrt, auch der Austausch von Originalen russischer Literatur gegen Faksimiles in Bibliotheken ist aktuell eine ausgeklügelte Form des Diebstahls, die in den letzten Jahren in Europa aufgetreten ist.
Diebe, die sich u. a. als akademische Experten ausgeben, nutzen den Zugang zu seltenen und wertvollen Büchern, um diese sorgfältig zu studieren, zu fotografieren und zu messen. Anschließend kehren sie zurück, um die Originale mit täuschend echten Fälschungen zu vertauschen. In einigen Fällen sind diese Gruppen auch direkt in die Bibliotheken eingebrochen, um die Bücher zu stehlen. Besonders begehrt waren Erstausgaben von Autoren wie Alexander Puschkin und Nikolai Gogol.
Es handelt sich um koordinierte Aktionen, die über Ländergrenzen hinweg erfolgen und eine erhebliche Herausforderung für die Sicherheitsmaßnahmen der Bibliotheken darstellen. Hier ist von den Bibliotheken zwingend organisatorisch festzulegen, bei welchen unbedingten Notwendigkeiten Originale überhaupt zur Ansicht herausgegeben werden dürfen und wie die Beaufsichtigung (durch mehrere Personen) zu erfolgen hat. Ein Studium am Inhalt erfordert zum Beispiel nicht das Originalexemplar und auch viele andere Studien können am Digitalisat durchgeführt werden.
Bewertung der momentanen Sicherungssituation
Nicht jeder Versicherer hat Zugriff auf technische Spezialisten, die auf die Sicherung von Kulturgut spezialisiert sind. Wenn auch fachliche Expertise hier zwingend erforderlich ist, so gibt es doch eine Möglichkeit, sich einen Überblick über den Stand der Sicherungssituation zu verschaffen. Der VdS Fragebogen VdS 3892 „Security Report“ ist entwickelt worden, um bei Verleih von Kunstobjekten den Stand der Sicherungen beim Leihnehmer zu hinterfragen. Der Teil 1 bezieht sich hier auf die Liegenschaft an sich und ist auch als allgemeiner Fragebogen aussagekräftig. Dennoch ist für die Erstellung sowie die Bewertung zwingend entsprechender Sachverstand notwendig.
FAZIT
Der Kostendruck und die damit, teilweise auch aufgrund Fehlens von Fachkräften, unbewusst eingegangenen Risiken durch Einsparungen im Sicherungsbereich treten nun offen zutage. Das Abstellen dieser Risiken ist langwierig und kostenintensiv. Somit wird es in vielen Fällen notwendig sein, hochdiebstahlbegehrliche Objekte aus Ausstellungen, deren Sicherheitsstandard nicht dem Stand der Technik entspricht, zu entfernen, um eine sicherere Verwahrung gewährleisten zu können. Damit werden diese Objekte – meist die „Prunkstücke“ einer Sammlung – der Öffentlichkeit entzogen und die Attraktivität der Ausstellung sinkt merklich wie wahrscheinlich auch die Besucherzahlen. Wohl den Museen, die dauerhaft investiert haben und bereits auf dem Stand der Technik sind oder diesen mit geringem Aufwand erreichen können. Für die Versicherungswirtschaft sind hier auf jeden Fall weitere spektakuläre Taten und Schäden zu erwarten.
Hartmut Tamm
risk engineer
VGH Versicherungsgruppe Hannover