In den letzten zehn Jahren hat das nachhaltige Bauen als Planungs- und Bauprinzip stark an Bedeutung gewonnen. Das zunehmende Verständnis für die enorme Relevanz des Gebäudesektors zur Erreichung der Klimaschutzziele haben diese Entwicklung stark beschleunigt. Dabei geht es um mehr als nur Energieeffizienz und die Verwendung ökologischer Baustoffe. Wer Nachhaltigkeit auf ganzheitliche Weise berücksichtigt und dies über eine Zertifizierung nachweisbar macht, profitiert langfristig von mehr Qualität, Investitionssicherheit und weniger Risiken.
Mit jedem Extremwetterereignis und Naturkatastrophen wird unmittelbar der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz lauter. In dem Wissen, dass diese in Zukunft immer häufiger auftreten werden, rücken Themen wie Resilienz und Qualitätssicherung in den Fokus. Auch beim Thema Bauen. Hinzu kommt das Wissen um die zunehmende Rohstoffknappheit, um den Verlust der Biodiversität und die deutlich zu langsamen Fortschritte bei der Reduktion der CO2-Emissionen. Viel zu tun also für Bauherren, Architekten und alle anderen, die an der Planung, der Konstruktion und dem Betrieb von Immobilien beteiligt sind.
Was ihnen hilft, um die große Vielfalt an Nachhaltigkeitsanforderungen systematisch zu berücksichtigen, ist eine Gebäudezertifizierung, wie sie beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) anbietet. Die DGNB ist eine 2007 gegründete Non-Profit- Organisation mit aktuell rund 1500 Mitgliedsorganisationen aus allen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft. Das übergeordnete Ziel: die Transformation des Sektors hin zu einem angemessenen Qualitätsverständnis als Grundlage für ein verantwortungsvolles, nachhaltiges Handeln. Um dies zu erreichen, spielt das Prinzip der Zertifizierung eine Schlüsselrolle. Projektindividuell dienen die dazugehörigen Kriterienkataloge als gemeinsame Wissensgrundlage, um zu einem möglichst frühen Planungszeitpunkt für die konkrete Bauaufgabe die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Als Planungs- und Optimierungstool soll die Zertifizierung dabei helfen, im Rahmen des vorhandenen Budgets das Maximum an Nachhaltigkeitsqualität auszuschöpfen – dokumentiert über einen unabhängigen Prüfprozess. An dessen Ende steht, je nachdem, wie umfangreich die Anforderungen erfüllt werden, ein DGNB Zertifikat in Platin, Gold oder Silber. Bild 1 zeigt, bei welchem Gesamterfüllungsgrad welche Auszeichnungsstufe erreicht wird. Platin ist bei der DGNB das beste erreichbare Ergebnis.
DGNB Zertifizierung folgt ganzheitlichem Nachhaltigkeitsansatz
Die Anforderungen bei der Zertifizierung sind definiert in einer Vielzahl unterschiedlicher Kriterien, die in bis zu sechs Themenfelder aufgeteilt sind. Wie auf Bild 2 dargestellt, zählen hierzu bei der Zertifizierung von Neubauten oder Sanierungsvorhaben die ökologische, die ökonomische und die soziokulturelle Qualität, womit der konsequent ganzheitliche Nachhaltigkeitsansatz abgebildet wird. Hinzu kommen die technische Qualität, die Prozess- sowie die Standortqualität. Die Anzahl der Kriterien sowie deren Gewichtung variieren, je nachdem, ob es sich um ein Gebäude- oder Quartiersprojekt handelt, einen Neubau, eine Sanierung oder ein Gebäude im Betrieb. Auch der Nutzungstyp spielt eine Rolle. So unterscheiden sich die Anforderungen an einen Kindergarten oder einen Wohnungsbau in Teilen von denen an ein Logistikzentrum oder ein Bürogebäude.
Wesentlich bei der DGNB Zertifizierung ist der konsequente Lebenszyklusansatz. Anstatt Umweltwirkungen und Kosten nur auf die Planungs- und Konstruktionsphase zu reduzieren, wird eine Lebensdauer von 50 Jahren als Grundlage der Bewertung angesetzt. Die beiden Methoden, die hier gefragt sind, sind die Ökobilanzierung sowie die Lebenszykluskostenrechnung. Dieser Ansatz führt zu einer ehrlichen Betrachtung der vom Gebäude verursachten CO2-Emissionen sowie der langfristig anfallenden Kosten.
Seine Relevanz drückt sich dadurch aus, dass die Ökobilanzierung und die Lebenszykluskostenrechnung die Kriterien mit der höchsten Gewichtung innerhalb der DGNB Zertifizierung sind. Insbesondere mit Blick auf die Risikominimierung und die Investitionssicherheit sind diese wesentlich.
Ein Kriterium der ökologischen Qualität, das ebenfalls von außerordentlicher Bedeutung ist, nennt sich „Risiken für die lokale Umwelt“. Hierbei geht es darum, gezielt auf Schad- und Risikostoffe bei der Wahl der Bauprodukte und -materialien zu verzichten, die einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Gebäudenutzer haben könnten. Eine Messung der Innenraumluftqualität zur Verifizierung ist sogar ein K.o.-Kriterium innerhalb der Zertifizierung. Bei Projekten, die hier die entsprechenden Grenzwerte in ihren Messwerten überschreiten, ist eine erfolgreiche Zertifizierung ausgeschlossen.
Insgesamt 37 Kriterien werden im Neubau adressiert
Zu den weiteren Kriterien zählen in der ökologischen Qualität eine verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, der Trinkwasserbedarf und das Abwasseraufkommen, die Flächeninanspruchnahme sowie die Biodiversität am Standort. Im Rahmen der ökonomischen Qualität hat die DGNB Anforderungen zur Marktfähigkeit sowie zur Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit formuliert. Der letztgenannte Punkt ist mit Blick auf die Investitionssicherheit von besonderer Bedeutung, wie es gerade etwa mit Blick auf die Zukunft der Innenstädte deutlich wird. Wenn beispielsweise Handelsbauten nicht so gebaut werden, dass sie mit ihren Geschosshöhen und Grundrissen zu Büros, Wohnungen oder für andere Nutzungstypen umgebaut werden können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie abgerissen werden, obwohl die Gebäudequalität an sich noch gut ist.
Die Kriterien der soziokulturellen und funktionalen Qualität haben den Menschen als Gebäudenutzer mit seinem Bedürfnis nach Gesundheit und Wohlbefinden im Fokus. Sie helfen also, die Akzeptanz eines Gebäudes zu steigern. Beachtet werden müssen zum Beispiel der thermische, der akustische und der visuelle Komfort, bei dem etwa belohnt wird, wenn es eine ausreichend große Verfügbarkeit von Tageslicht gibt. Neben Maßnahmen zur möglichen Einflussnahme des Nutzers werden auch die Aufenthaltsqualitäten innen und außen berücksichtigt. Letztlich gibt es innerhalb dieses Feldes noch die Kriterien der Barrierefreiheit und der Sicherheit. Gemeint ist hiermit, dass Gefahrensituationen in Gebäuden und deren unmittelbarem Umfeld durch eine entsprechende bauliche Konzeption so weit wie möglich vermieden werden.
Prozessqualität adressiert verschiedene Qualitätssicherungsaspekte
Die neun Kriterien der Prozessqualität verfolgen das Ziel, die Qualität der Planung sowie die Qualität der Bauausführung zu erhöhen. Angesprochen sind die Qualität der Projektvorbereitung, die Sicherung der Nachhaltigkeitsaspekte in Ausschreibung und Vergabe, die Dokumentation für eine nachhaltige Bewirtschaftung und die Durchführung von Verfahren zur städtebaulichen und gestalterischen Konzeption. Gerade die kritischen Schnittstellen zwischen verschiedenen Gewerken stehen im Zentrum der Kriterien „Baustelle / Bauprozess“, „Qualitätssicherung der Bauausführung“ und „Geordnete Inbetriebnahme“. Hinzu kommen die Nutzerkommunikation schon während der Planungs- und Bauphase sowie eine FM-gerechte Planung, also eine Planung, die bereits den späteren Betrieb des Gebäudes gezielt berücksichtigt.
Um zu verdeutlichen, welche thematische Breite an Nachhaltigkeitsaspekten bei DGNB-zertifizierten Projekten geplant und umgesetzt wird, seien der Vollständigkeit halber auch noch die Kriterien der technischen Qualität sowie der Standortqualität genannt. Bei der technischen Qualität handelt es sich um den Schallschutz, die Qualität der Gebäudehülle, den Einsatz und die Integration von Gebäudetechnik, die Reinigungsfreundlichkeit des Baukörpers, die Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit sowie den Immissionsschutz und die Mobilitätsinfrastruktur. Bei der Standortqualität, bei der es übergeordnet um die Beurteilung der Wirkung des Projekts auf sein Umfeld und umgekehrt geht, lauten die Kriterien „Mikrostandort“, „Ausstrahlung und Einfluss auf das Quartier“, „Verkehrsanbindung“ sowie „Nähe zu nutzungsrelevanten Objekten und Einrichtungen“.
Qualifizierte Auditoren begleiten Zertifizierungsprozess
Entscheidend für die erfolgreiche Durchführung einer Zertifizierung ist die rechtzeitige Einbindung eines ausgebildeten DGNB Auditors. Auditoren verfügen über das notwendige Wissen zum DGNB Zertifizierungssystem von A bis Z. Sie sind in der Lage, sich mit allen am Bau Beteiligten kompetent über die geforderten Nachweise und Dokumentationsanforderungen in den einzelnen Kriterien auszutauschen. Und nur ausgebildete und lizenzierte DGNB Auditoren sind berechtigt, Projekte zur Zertifizierung bei der DGNB einzureichen.
Die DGNB selbst verantwortet, wie auf Bild 3 dargestellt, am Ende des Zertifizierungsprozesses die Konformitätsprüfung. In dieser wird bestimmt, wie gut ein Projekt in den einzelnen Kriterien abschneidet. Daraus errechnet sich aufsummiert der Gesamterfüllungsgrad, der maßgeblich dafür ist, ob und, wenn ja, welches DGNB Zertifikat ein Projekt erhält.
DGNB System für Gebäude im Betrieb führt Gebäude systematisch in Richtung Klimaneutralität
Die vorgestellten Kriterien bei der Zertifizierung von Neubauten und Sanierungen beurteilen den Planungsprozess und die Umsetzungsqualität zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme. Wer daran interessiert ist, die Nachhaltigkeitsqualität einer Immobilie während der Nutzung zu evaluieren, für den ist das DGNB System für Gebäude im Betrieb das richtige Instrument.
Es ist als ein Transformations- und Managementinstrument konzipiert, das Gebäudebetreiber, Bestandhalter und Nutzer bei der Entwicklung einer nachhaltigen, zukunftsfähigen und auf Klimaschutz ausgelegten Immobilienstrategie unterstützt. Durch die systematische Betrachtung aller relevanten Informationen über das Gebäude und seine tatsächlichen Eigenschaften, die Nutzungssituation und die realen Verbrauchskennwerte hilft das System, Transparenz zu schaffen und Optimierungspotenziale zu identifizieren. So werden auch hier Risiken minimiert und Investitionssicherheit gesteigert. Die Zertifizierung ist für ganze Portfolios und einzelne Gebäude anwendbar, unabhängig von deren Nutzungstyp. Spätestens nach drei Jahren ist eine Rezertifizierung erforderlich.
Bei der Betriebszertifizierung der DGNB kommen, wie auf Bild 4 dargestellt, lediglich neun Kriterien zum Einsatz. Besonders stark gewichtet ist das Kriterium „Klimaschutz und Energie“. Es macht 30 Prozent am Gesamtergebnis aus. Ziel ist es, das Gebäude auf einen klimaneutralen Gebäudebetrieb auszurichten. Durch einen klimaneutralen Gebäudebetrieb kann der Nutzer aktiv einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgase und somit zum Klimaschutz leisten. Durch ein aktives Management des Energieverbrauchs können Optimierungspotenziale aufgedeckt werden, was zu Kosteneinsparung führt. Zum Einsatz kommt dabei das Prinzip des gebäudeindividuellen Klimaschutzfahrplans (Bild 5).
Die Idee dahinter ist, dass Klimaschutz und die dazugehörigen Investitionen zielgerichtet geplant werden müssen. Nur wer klare Ziele für seine Gebäude definiert, diese nachhält und Maßnahmen zukunftsorientiert umsetzt, kann Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit optimal zusammenbringen. Wichtig ist dabei, dass dies gebäudeindividuell erfolgt. Nur so können valide Maßnahmenpläne erarbeitet werden, die zielgerichtet auf die spezifischen Beschaffenheiten ausgerichtet sind. Zielsetzung ist dabei die Klimaneutralität. Gebäude, die bereits klimaneutral betrieben werden, erhalten zusätzlich zum DGNB Zertifikat für Gebäude im Betrieb die Auszeichnung „Klimapositiv“.
Kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung an neue Regularien
Die DGNB Zertifizierungssysteme werden kontinuierlich weiterentwickelt. Etwa alle drei bis vier Jahre veröffentlicht die DGNB eine neue Fassung ihrer Kriterienkataloge. So wird sichergestellt, dass immer die aktuellsten regulatorischen Anforderungen adäquat in den Kriterien berücksichtigt werden. Dies gilt ganz aktuell beispielsweise für die Anforderungen der EU-Taxonomie.
Hierzu bietet die DGNB eine eigene ESG-Verifikation an. Diese ist für Unternehmen mit einzelnen Gebäuden und ganzen Portfolios in den Bereichen Neubau, Sanierung sowie Erwerb und Eigentum nutzbar. Die Prüfung kann sowohl begleitend als auch unabhängig zur DGNB Zertifizierung erfolgen. Perspektivisch werden die Kriterien der EU-Taxonomie in jeder Weiterentwicklung der verschiedenen Varianten des DGNB Systems als integrale Bestandteile mit aufgenommen. So will die DGNB sicherstellen, dass keine unnötigen Mehraufwände entstehen, die nicht unmittelbar in ein Plus an Nachhaltigkeitsqualität fließen.
Felix Jansen
Abteilungsleiter PR, Kommunikation und Marketing
Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V, Stuttgart